, Kinderhospiz

7.30 Uhr. Ich bin wach. Ganz schlaftrunken. Schwer. Ich höre Klara. Sie kommt zu uns. Kuschelt sich in unser Bett. Ihre Haare sind ganz zerzaust.

Uli wird wach. Er sieht müde aus. Dennoch. Die Erschöpfung hat sich tief in uns eingegraben. Lassen wir sie auch nur kurz zu, überflutet sie uns. Macht uns schwer. Breitet sich in uns aus. Ich setze mich. Stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Kaltes Wasser.

Klara ist wieder in ihrem Zimmer. Schaut fern. Uli macht Kaffee. Wir setzen uns auf den Balkon. Das Meer. Wir sehen das Meer. Einatmen und Ausatmen.

Josef, mein Josef. Ich rufe im Kinderhospiz an. Frage nach der Nacht. Josef hat ruhig geschlafen. Alles gut. Wir kommen heute, sage ich. Heute Nachmittag werden wir da sein. Lasst euch Zeit, sagt die Schwester. Gut, sage ich. Gut.

Langsam spannt sich der innere Bogen wieder in mir. Die Gedanken rollen an. Heute Nachmittag. Kinderhospiz. Einkauf. Termine. Die Katze. Hoffentlich ist alles gut. Jemand aus dem Kinderhospiz hat sie gefüttert. Meine Gedanken nehmen Fahrt auf. Mir ist schwindlig.

Wir ziehen uns an. Gehen zum Frühstück. Schauen auf das Meer. Es ist unwirklich, hier zu sein. In dieser anderen Welt. Klara möchte unbedingt ins Schwimmbad. Uli geht mit ihr. Nach dem Frühstück. Klara ist glücklich. Möchte nicht weg. Noch nicht weg von hier.

Wir packen unsere Sachen. Winken dem Meer. Einatmen und Ausatmen. Für Josef mit. Für Josef mit. Ich vermisse ihn. Meinen Josef. Unseren Josef. Dann fahren wir.

Zu Hause. Zuerst gehen wir ins Kinderhospiz. Die Sachen sind noch im Auto. Josef, mein Josef. Wo bist du? In seinem Zimmer. Er liegt in seinem Bett. Herzfrequenz 140. Sauerstoffsättigung 94. Er schläft. Wird wach. Streckt sich.

Ich schalte den Monitor aus. Nehme ihn aus seinem Bett. Küsse ihn. Josef, mein Josef. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Weil es dazugehört. Zu Josef. Weil es in uns drin ist. Die Abläufe. Wir uns angepasst haben.

Klara ist bei uns. Die Geschwisterkinder sind nicht da. Es ist ja noch Schule. Die Schwester kommt zu uns. Sagt, Josef hat erhöhte Temperatur. Drei Sauerstoffsättigungsabfälle. Okay, sage ich. Okay. Das Sekret ist flüssig, sagt sie. Sie können sich nicht erklären, warum die Sauerstoffsättigung abfällt. Okay, sage ich. Okay.

Ich küsse Josef. Küsse und küsse. Uli geht mit Klara zu uns nach Hause. Bringt die Taschen in unsere Wohnung. Kommt dann wieder. Josef in meinem Arm. Ich halte ihn. Spüre seinen Körper. Sein Kopf liegt in meiner Armbeuge. Seine Augen fallen zu. Öffnen sich wieder. Fallen zu. Öffnen sich wieder. Krampfst du, Josef? Ach, denke ich. Ach. Küsse ihn.

Gehe in den Gemeinschaftsraum. Setze mich auf den Sessel. Direkt an der Fensterfront. Lege Josef auf meine Brust. Wir atmen zusammen. Josef, mein Josef. Ich habe dir Meeresluft mitgebracht. Josefs Augen öffnen sich. Schließen sich. Ich küsse ihn.

Die Hauswirtschaftsfrau kommt. Wir plaudern. Es ist schön. Schön und leicht. Wir lachen und doch weiß ich um ihre Tiefe. Ich fühle mich nicht allein. Mit Josef.

Uli und Klara kommen wieder. Wir trinken Kaffee. Kuchen gibt es auch. Gäste kommen. Pfleger. Schwester. Es tut gut. Wieder hier zu sein. Hier bin ich. Sind wir. Nehmen keine Rollen ein.

Oder doch? Ich weiß es nicht. Weiß nur. Hier muss ich mich nicht verstecken. Mit Josef. Keine Rücksicht nehmen vor den Menschen. Nicht erklären. Nicht trösten. Hier ist es normal. Dass die Kinder nicht sprechen. Nicht. Nicht. Und nicht. Und dennoch ganz da sind. Gesehen werden. Das Nicht nicht im Vordergrund steht. Sondern dazugehört.

Das Rauschen der Absaugen, das Piepen der Monitore, die Bauchschläuche und die Beatmungsmaschinen dazugehören. Sie nicht den Blick verstellen. Auf die Kinder. Das macht es etwas leichter hier.

Josef, mein Josef. Ich lege ihn in seinen Kinderwagen. Küsse ihn. Die Schwester übernimmt Josef. Wir. Wir fahren einkaufen. Räumen die Wohnung auf. Die Katze. Ihr geht es gut. Sie ist wilder geworden.

Zum Abendessen gehen wir ins Kinderhospiz. Josef, mein Josef. Ich halte ihn in meinem Arm. Gebe ihm seinen Abendbrei. Tee. Medikamente. Ich halte ihn. Es ist schön ihn zu spüren. Ich fühle mich wieder ganz. Wir sind wieder ganz. Alle zusammen.

Ich ziehe Josef vorsichtig um. Inhaliere. Sauge ab. Uli ist mit Klara zu Hause. Josef schläft ein. Ich lege ihn in sein Bett. Gebe der Schwester Bescheid.

Gehe nach Hause. Klara schaut Kinderfernsehen. Uli bringt sie ins Bett. Liest ihr vor. Macht das Hörspiel an. Ich setze mich an den Rechner. Schreibe unseren Freundinnen, dem Pfleger und der Familienbegleitung. Frage, ob sie. Wenn. Zu uns kommen. Bei uns sein werden.

Uli und ich. Wir setzen uns auf den Balkon. Schauen auf die Schule. Gehen ins Bett. Irgendwann. Müssen nicht auf den Nachtdienst warten. Müssen keine Rücksicht nehmen. Lassen die Türen auf.

Zuletzt aktualisiert am: 29.06.2021


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