, Kinderhospiz

Um 6.30 Uhr werde ich wach. Ostermontag. Die Sonne scheint. Ich pumpe Milch ab. Einatmen und Ausatmen. Ich habe fest geschlafen. Geträumt habe ich auch. Weiß nicht mehr, was. Die Ruhe hier. Das sich Nicht-kümmern-müssen schafft Platz. Für noch nicht Durchfühltes. Gut ist das. Anstrengend auch. Einatmen und Ausatmen.

Klara wird wach. Sie braucht ihre Zeit, um in der Welt anzukommen. Kuschelt sich nochmal ein. Fragt dann, ob sie fernsehen darf. Ja, es sind ja Ferien. Außerdem ist Ostermontag. Uli wird auch wach. Ich gehe ins Bad. Wasche mich. Zusammen mit Uli gehen wir zu Josef. Vorher noch in den Gemeinschaftsraum. Es ist wieder ein ehrenamtlicher Mitarbeiter da. Er bereitet das Frühstück vor. Wir kennen ihn schon.

Rühreier gibt es, sagt er. Mit dampfenden Kaffeetassen gehen wir zu Josef. Er ist wach. Ganz verschwitzt. Ich schalte den Monitor ab. Nehme ihn aus seinem Bett. Küsse ihm die Schweißperlen von der Stirn. Guten Morgen, mein Bär.

Die Schwester kommt. Auf wundersame Weise merken sie sofort, wenn wir bei Josef sind. Die Nacht war ruhig, sagt sie. Inhaliert und abgesaugt habe ich ihn schon. Ob sie das Bad einlassen soll. Ja, sage ich. Das Morgenbad. Er ist so verschwitzt. Liegt es an den Medikamenten? Das kann sein, sagt die Schwester. Fieber hat er jedenfalls nicht. Gut, sage ich. Kein Fieber.

Ich ziehe Josef vorsichtig aus. Seine verschwitzten Sachen. Ich liebe seinen Geruch. Am liebsten würde ich alles einsaugen. Speichern. Uli lässt Josef in die Wanne gleiten. Heute ist Josef entspannter. Er genießt das warme Wasser. Uli nimmt ihn aus der Wanne. Ich trockne ihn vorsichtig ab. Öle seinen kleinen, schönen Körper ein. Küsse immer wieder seine Brust und seinen Bauch. Die Küsse, Josef. Für dich. Nur für dich.

Ich ziehe ihn vorsichtig an. Dann gehen wir in den Gemeinschaftsraum. Es duftet herrlich nach Rührei. Klara kommt dazu. Die Gäste kommen. Eltern. Pfleger. Schwestern. Die Stimmung ist schön. Ich bin wieder offener. Nehme die anderen Menschen wahr. Kann mich einlassen. Josef auf meinem Schoß. Entspannt. Ich gebe ihm seine Morgenmilch. Seine Augen fallen immer wieder zu.

Nach dem Frühstück gehen wir in den Wintergarten. Heute ist Morgenkreis. Der Musiktherapeut und eine Pädagogin haben alles vorbereitet. Ganz liebevoll. Es liegen Instrumente in der Mitte. Der Musiktherapeut spielt auf der Gitarre. Begrüßt alle Gäste. Die da sind. Es ist schön. Nur Josef wird es zu viel. Zuviel Eindrücke. Wir ziehen uns zurück. Es ist gut, Josef. Wir müssen nicht. Müssen nicht am Morgenkreis teilnehmen. In seinem Zimmer schläft Josef sofort ein.

Am Nachmittag wollen wir spazieren. Laufen. Laufen und Begreifen. Josef wollen wir mitnehmen. Wollen uns nicht noch einmal so verloren fühlen. Ohne ihn in dieser Stadt. Wollen mutig sein. Ihn mitnehmen. Uli packt die Absauge ein. Medikamente. Windeln. Spritzen. Katheter. Als Josef wach wird, inhaliere ich ihn. Sauge ihn ab. Ziehe ihn an. Für den Spaziergang. Klara kommt auch mit.

Dann gehen wir los. Laufen, laufen, laufen. Josef genießt es. Schläft immer mal wieder ein. Wir lassen die Sonne in sein Gesicht scheinen. In unseres auch. Erst zum Abendbrot sind wir wieder da. Ganz beglückt von unserem weiten Osterspaziergang. Das tat gut. Das Begreifen durch das Laufen. Zusammen mit Josef. Mit Josef zusammen begreifen. Nicht allein. Ohne ihn. Nur mit ihm können wir begreifen, wie es gehen soll. Mit uns zusammen.

Nach dem Abendessen inhaliert Uli Josef. Ich ziehe ihn für die Nacht um. Seine Zuckungen sind wirklich weniger geworden. Er schläft ein. Ich halte ihn. Spüre ihn, meinen Josef. Lege ihn in sein Bett. Schalte den Monitor an. Gehe zur Schwester. Gebe ihr Bescheid. Gehe ins Elternzimmer. Klara und Uli schauen Kinderfernsehen.

Es war ein schöner Tag, sage ich. Ja, sagt Uli. Es war schön. Mehr davon, denke ich, und dann denke ich, bleib beim Heute. Dankbar sein für diesen schönen Tag. Nicht immer dieses Noch-mehr-wollen. Ich pumpe Milch ab. Bringe sie zu Josef. Josef liegt im Arm der Schwester. Er ist gerade wieder eingeschlafen. Ich küsse ihn. Meinen Josef. Fühle mich nicht komisch. Habe es abgelegt. Hier. Dieses Sich-komisch-fühlen. Ich schlafe sofort im Elternzimmer ein. Müde vom Laufen.

Um 3.00 Uhr pumpe ich Milch ab. Bringe sie zu Josef. Er ist wach. Liegt im Arm der Nachtschwester. Er hat viel Sekret, sagt sie. Sie kümmert sich, sagt sie. Ich nehme Josef. Küsse ihn. Gebe ihn wieder der Schwester. Sie inhaliert ihn. Gehe ins Bett. Schlafe wieder ein. Vertraue der Schwester.

Zuletzt aktualisiert am: 30.03.2020


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