, Zu Hause 2

Ich bin wach. Schalte den Wecker aus. Die Katze auf Ulis Sachen. Stehe auf. Gehe ins Bad. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Tränen. Kaltes Wasser.

Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Gehe in Josefs Zimmer. Josef ist wach. Liegt im Arm der Schwester. Herzfrequenz 140. Sauerstoffsättigung 96.

Ich nehme Josef. Küsse ihn. Frage. Die Schwester sagt. Josef hatte mehrere Atemaussetzer. Herzfrequenz schwankte zwischen 130 und 190. Sauerstoffsättigung zwischen 50 und 98. Momentan kein Fieber. Alle zwei Stunden Inhalation. Absaugen. Schmerzmedikamente. Okay, sage ich. Okay.

Uli kommt. Sie erzählt noch einmal. Ich halte Josef. Weiß nicht, was es bedeutet. Weiß nicht mehr. Schon lange. Klara fehlt. Ich möchte nicht, dass Klara denkt. Sie war weg und Josef ist gestorben. Weil sie weg war, ist Josef gestorben. Einatmen und Ausatmen.

Die Schwester räumt. Spült. Wechselt aus. Zieht auf. Die Schwester geht. Schlaf gut. Danke. Danke. Danke. Danke. Ich bin dankbar dafür. Dass sie da ist. Kommt. Bei uns ist. Einatmen und Ausatmen.

Josef liegt in meinem Arm. Ich ziehe ihn vorsichtig um. Ganz vorsichtig. Seine Atmung. Unregelmäßig. Tränen laufen.

Es klingelt. Die Schwester. Es klingelt. Das SAPV-Team. Wir sprechen. Lange. Leise. Ein wenig besser, sagt die Ärztin. Medikamente werden erneut besprochen.

Über das Kinderhospiz. Über das Krankenhaus sprechen wir nicht mehr. Ist nicht mehr in unseren Köpfen. Schon lange keine Option mehr . Heute Nachmittag kommen sie wieder. Gut, sage ich. Gut.

Josef, mein Josef. Die Schwester ist ganz bedacht mit Josef. Behutsam. Konzentriert. Bei ihm. Ich bin ihr dankbar. Sehr. Trotz unserer Differenzen.

Uli telefoniert. Mit den Großeltern. Schildert. Sie verabreden, wenn sich Josefs Zustand verschlechtern sollte, bringen sie Klara. Wann wird dieser Zeitpunkt sein? Woran merken wir, dass es ihm schlechter geht? Geht denn noch schlechter? Für sie ist es schwer, nachzufühlen, wie es gerade ist. Nicht vorstellbar das Unvorstellbare. Nicht vorfühlbar das Sterben von Josef.

Wir wissen es nicht. Wissen nicht. Wissen nicht, was wir dann fühlen, denken, spüren. Wissen es nicht. Wissen nicht. Können uns nicht vorbereiten. Nicht vorfühlen. Vorspüren. Vordenken. Können nur im Moment sein. Nur in diesem Moment. Einatmen und Ausatmen.

Es klingelt. Die Logopädin. Wellness heute. Sie streicht Josef über seine Arme. Beine. Sein Gesicht. Es tut gut. Sie ist da. Heute ist sie für uns da. Sie verabschiedet sich. Streicht mir über den Arm.

Uli geht los. Einkaufen. Haben nichts mehr da. Ich putze in der Wohnung. Wäsche. Muss ja sein. Das Leben muss geordnet werden. Trotz des Ausnahmezustandes. Trotz.

Uli ist wieder da. Sortiert die Lebensmittel in die Schränke. Josef schläft. Die Sauerstoffsättigungsabfälle werden weniger. Seine Atmung wird gleichmäßiger. Die Schwester verabschiedet sich. Bis morgen. Danke, sage ich. Schon gut, sagte sie. Schon gut.

Es klingelt. Das SAPV-Team. Wir reden. Leise. Sind still. Josef atmet etwas gleichmäßiger. Schwebt. Dennoch schwebt er. Schwebt schon so hoch. So weit. Morgen Vormittag sehen wir uns, sagt die Ärztin. Josef.

Ich nehme ihn in den Arm. Habe das Gefühl, es geht jetzt wieder. Ihm ist es nicht zu sehr unangenehm. Gehalten zu werden in meinen Armen. Ich inhaliere Josef. Sauge ihn ab. Regelmäßig bekommt Josef ein Medikament zum Schlafen. Unter dem Medikament sind die Atemaussetzer deutlich weniger.

Nur. Josef schläft. Die ganze Zeit. Ist weit weg. Weit weg. Uli telefoniert. Leise mit den Großeltern. Besser, höre ich. Besser. Freitag werden sie Klara bringen. Freitag, wie besprochen.

Josef in meinem Arm. Auf meiner Brust. Wir atmen zusammen. Ich habe das Gefühl, Josef ist nicht mehr wirklich da. Nur noch ein kleiner Hauch Leben. Wir essen Abendbrot. Josef auf meiner Brust. Medikamente. Inhalation. Absaugen. Küsse. Immer wieder Küsse.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 140. Sauerstoffsättigung 85. Josef wird inhaliert. Abgesaugt. Medikamente. Gelagert. Über meine Knie. Küsse.

Leise Gespräche. Um 2.00 Uhr. Herzfrequenz 120. Sauerstoffsättigung 96. Wir gehen ins Bett.

Zuletzt aktualisiert am: 29.06.2021


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