Gedanken zu einem Dialogforum im Familienministerium

Anne hat am 11.2.2020 an einer Veranstaltung im Familienministerium anlässlich des Tages der Kinderhospizarbeit teilgenommen, hat im Podium diskutiert und ihre Gedanken dazu aufgeschrieben.

Ich stieg aus der U-Bahn. Mohrenstraße in Berlin. Kalt war es. Windig. Grau. Ich war auf dem Weg zum Bundesministerium für Familie. Mein Herz schlug schnell. Ich war aufgeregt. Was würde mich erwarten? Was erwartete ich? Ich wurde eingeladen. Zu einem Dialogforum zur Hospizarbeit von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Vor einer Woche hatte ich mit der Koordinatorin telefoniert. An einem Abend. Jette in meinem Arm. Die schlafende Jette. Wir haben über Josef gesprochen. Darüber, was ich denke, was Familien mit lebenszeitverkürzt erkrankten Kindern brauchen.

Und aus mir floss es. Ich sprach von Halt und Aushalten. Von Übergängen aus der Klinik nach Hause und andersherum. Über Sicherheit in der Versorgung durch Pflege. Über zeitnahe Unterstützung, zum Beispiel. im Haushalt in Krisenzeiten. Von psychosozialer Begleitung von Anfang an bis über den Tod hinaus. Kontinuierlicher Begleitung in der Auseinandersetzung mit dem Sterben seines Kindes.

Sprach davon, dass es schwierig ist, sich immer wieder auf neue Menschen einzulassen. Erzählte von unseren Erfahrungen mit den vielen Menschen. Dem Verlust der Privatsphäre. Die Energie, die dadurch geraubt wurde. Jette schlief in meinem Arm. Wir verabschiedeten uns am Telefon.

Ich küsste Jette. Ganz sanft. Küsse, meine Jette. Küsse. Auch du. Meine Jette. Ich trug sie ins Bett. Deckte sie zu. Uli und ich. Wir zusammen in unserer Wohnküche. Hab ich zu viel erzählt, fragte ich? War ich zu kryptisch? Nein, sagte Uli. Nein.

Kurze Nächte folgten. Nach der Arbeit an den Abenden sortierte ich. Sortierten wir. Ich fragte betroffene Familien, was sie denken. Fragte das Palliativteam. Ein Tag vor diesem Tag telefonierte ich mit dem Moderator. Er war mir sehr sympathisch. Er hatte das Brückenteam in Dresden aufgebaut. Ich hatte das Gefühl, nicht viel erklären zu müssen. Eine Sprache zu sprechen.

Ich wurde ruhiger. Fühlte mich sicherer. Und mit diesem Gefühl von Aufregung und Sicherheit bin ich aus der U-Bahn gestiegen. Ich war zu früh. Bin in die Apotheke und kaufte Lutschbonbons. Gegen Halsweh. Man weiß ja nie. Dann ging ich ins Familienministerium. Zeigte meinen Ausweis. Ging die Treppe hoch.

Dort standen Menschen. Menschen, die ich kannte. Die Josef kannten. Ich freute mich. Von ganzem Herzen. Da war die ehemalige Koordinatorin vom Palliativteam. Ich erinnere mich an viele haltenden und aufbauende Telefonate.

Dann kam der ehemalige Sozialarbeiter aus dem Kinderhospiz. Oft hatten wir zusammengesessen und sortiert. Damals. Ich weiß es noch. Als es um die Auflösung meines Anstellungsverhältnisses ging.

Und dann kam eine ehemalige Pflegekraft. Wie oft hatte sie Josef im Arm? Wie oft war das? Ob sie es noch weiß?

Dann kam eine ehemalige Koordinatorin vom ambulanten Kinderhospizdienst. Damals haben wir mit ihr zusammen Klaras 7. Geburtstag auf einer Obstwiese verbracht. Josef war dabei. Es war Sommer. Klara so glücklich und wir so verletzlich. In der Zeit. Ganz dünnhäutig und voller Liebe für unsere Kinder. Es war ganz vertraut. Sie zu sehen. Sich kurz im Arm zu halten.

Nach und nach kamen die Menschen. Einige habe ich später kennengelernt. Nachdem Josef schon gestorben war. Tot war. Josef, mein Josef. Es ging los. Ich nahm mir einen Kaffee. Mein Herz schlug schnell. Das war vielleicht keine gute Idee.

Es gab einführende Worte. Wir warteten auf die Familienministerin. Eine Pause. Sie füllte sich mit Diskussionen zu Lösungsvorschlägen. Wären Kindertageshospize eine gute Idee? Nur was ist mit den Kindern, die nicht transportfähig sind?

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Dann kam die Familienministerin. Es war angenehm, ihr zuzuhören. Sie brachte durchdachte Ideen ein. Niedrigschwellige Unterstützung für betroffene Familien. Konkret wurde sie nicht. Wie auch, dachte ich? Wie auch?

Dann gab es Vorträge. Aus verschiedenen Perspektiven. Um wen geht es eigentlich? Wie viele Kinder? Wie krank sind sie? Wie ist der Verlauf der Erkrankung? Wie geht es Familien in der Pflegesituation?

Wie können Übergänge von der Kinderversorgung in die Erwachsenenversorgung geschaffen werden? Ein Teil der lebenszeitverkürzt erkrankten Kinder werden über 18 Jahre. Wo können sie leben? Gut versorgt leben. Kurz schnürte es mir das Herz zu. Der Referent sprach von Entwicklung der Kinder. Kinder, die erwachsen werden.

Und ich fühlte mein Herz. Ganz schwer. Schmerzhaft schwer. Mit dieser Sehnsucht. Wie sehr hatte ich mich danach gesehnt. Gehofft, dass Josef sich entwickelt hätte. Nur ein bisschen. Immer diese Hoffnung. Die sich einschlich. Um die Ecke kam. Sich breit machte. Mich erfüllte.

Und dann. Dann der Schmerz der Annahme. Anzunehmen, dass Josef sterben wird. Das er sich nicht entwickelt. Kurz war er da. Der Schmerz von damals. Dann flog er weg. Der Schmerz. Die Traurigkeit darüber.

Sehr interessant fand ich einen Vortrag über Kinder und Jugendliche, die Familienmitglieder pflegen. Damals mit Klara hatten wir sehr darauf geachtet, dass sie keine Pflege übernimmt. Josef nicht absaugt. Keine Nahrung gibt. Ihn nicht inhaliert. Sie sollte seine Schwester sein. Nicht mehr und nicht weniger.

Und ich dachte, wer weiß wie es sich entwickelt hätte? Wenn Josef älter geworden wäre. Klara auch? Vielleicht hätten wir sie dann doch in die Pflege einbezogen, weil wir irgendwann selber nicht mehr hätten können. Noch müder und noch erschöpfter gewesen wären. Wer weiß das schon? Einatmen und Ausatmen.

Dann war es soweit. Die Podiumsdiskussion. Die Frage lautete: Was brauchen Familien mit einem lebenszeitverkürzt erkrankten Kind? Ich fühlte mich sicher mit dem Moderator an meiner Seite. Gleichzeitig war ich aufgeregt. Konnte ich überhaupt alles sagen? Würde ich was vergessen? Mich verlieren in Geschichten? Kann ich den äußeren Rahmen innerlich halten? Werde ich den Erwartungen gerecht?

Das Mikrofon in meiner Hand. Ich stellte Josef vor. Unsere Geschichte. Erzählte von den Familien, mit denen ich im Austausch bin. Von dem Wunsch einer kontinuierlichen psychosozialen Begleitung ab Diagnosestellung über den Tod hinaus.

Ich machte deutlich, dass das bisherige Hilfesystem nicht auf die Situation der betroffenen Familien passt. Es so ist, dass sich die Familien den Hilfen anpassen müssen bis zur völligen Erschöpfung. Was soll eine Familie machen, wenn fünf Tage hintereinander der Pflegedienst in der Nacht nicht kommt? Sie hat keine Wahl.

Eine andere Mutter im Podium machte deutlich, wie wichtig eine konkrete Unterstützung in den ganzen behördlichen Angelegenheiten ist. Deutlich wurde, wie elementar wichtig es ist, die Situation von den betroffenen Familien ernst zu nehmen.

Und schon habe ich das Gefühl, es klingt so banal. Ernst nehmen. Es geht darum, genau hinzuschauen und zu erfragen, was brauchen die Familien. Jetzt.

Mein Anliegen ist es, die Familien abzuholen. Raum zu geben. Einen sicheren Ort zunächst. Zum Sortieren. Für ein tieferes Verständnis. Immer wieder aufzuzeigen, wie die Lebenssituation von betroffenen Familien ist. Wie sie sich anfühlt. Wie komplex das Ganze ist. Nicht einfach zu lösen. Gar nicht zu lösen im Sinne von: Nun ist alles gut.

Unser Anliegen ist es, einen geschützten Raum zu bieten zum Aushalten von Ambivalenzen. Wir möchten ins Gespräch kommen. Die Konflikte zwischen den Professionellen und den betroffenen Familien ansprechen, aussprechen, vermitteln und weicher machen. Möchten dazu einladen die Perspektive zu wechseln. Zum Verständnis einladen.

Nicht anklagen, sondern beschreiben und zum Austausch einladen. Wir möchten nicht über die Familien sprechen, sondern mit ihnen. Wir werden uns zeigen. In Seminaren, Vorträgen, Austauschen, persönlichen Gesprächen und Podiumsdiskussionen. Wir werden nicht müde werden, immer wieder die prekäre Situation von betroffenen Familien aufzuzeigen.

Wir möchten eine Verbindung auch zu nicht betroffenen Familien schaffen. Wir möchte das Thema Tod und Sterben von Kindern in die Gesellschaft tragen. Möchten keinen Schrecken einjagen. Möchten einladen. Immer wieder einladen gemeinsam auszuhalten und neugierig zu sein, auf das, was passieren wird.

Josef, mein Josef. Denn wir wissen nicht, wie wir uns fühlen werden. Können die Gefühle nicht denken. Wir möchten die Josefgeschenke in die Welt tragen. Unsere Stimme erklingen lassen. Nicht erheben. Weil wir uns nicht über etwas heben. Einatmen und Ausatmen.

Dann war die Stunde auf dem Podium vorbei. Die Menschen haben sich verabschiedet. Ich kam ins Gespräch mit Menschen, die mich über unseren Blog kannten. Das war sehr schön. Viele Verabredungen habe ich getroffen. Vernetzungen. Ganz voll in mir war es.

Ganz voll und leicht bin ich zur U Bahn gegangen. Nach Hause gefahren. Uli hat gekocht. Jette kam mir entgegen. Umarmte mich. Ich nahm sie auf den Arm. Küsste sie. Küsse, meine Jette. Küsse. Klara saß auf dem Sofa. Nahm die Kopfhörer ab. Fragte: Wie war es?

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