Laura saß im selben Abteil. Erst jetzt entdecke ich sie. Ich berühre sie am Rücken.

Es ist 8.30 Uhr. Jette und ich ziehen uns an. Ich umarme und küsse sie. Bei jeder Gelegenheit. Meine Jette. Ich setze sie in den Kinderwagen. Ganz warm eingehüllt. Meine Jette. Klara ist schon in der Schule. Ihre erste Stunde ist fast vorbei. Uli sitzt in der U-Bahn. Auf dem Weg zur Arbeit. Ich schiebe den Kinderwagen. Zwei Straßenbahnstationen sind es bis zur Kita. Unterwegs sehen wir ein Müllauto. Jette ist begeistert. In zwei Monaten wird sie drei.

In der Kita. Ich helfe ihr beim Ausziehen. Damit es schneller geht. Mit ihrem Fuchsi im Arm läuft sie zu der Erzieherin. Ich winke ihr. Sie sieht es nicht mehr. Eingetaucht in die Kitawelt. Ich laufe zum Bus.

Es ist grau heute. Eine graue Wolkendecke. Ich bin verabredet. Mit Laura. Wir wollen zu Josef. Auf den Friedhof. Der Bus kommt gleich. Ich muss nicht warten. Dann steige ich um. In die U-Bahn. Fahre zwei Stationen. Steige aus.

Laura saß im selben Abteil. Erst jetzt entdecke ich sie. Ich berühre sie am Rücken. Wir umarmen uns. Das fühlt sich vertraut und schön an. Wir laufen die Treppe hoch. Ich muss mich orientieren. Es ist laut. Die Flugzeuge fliegen sehr tief. Es ist ein lauter und rauer Ort. Wir laufen zum Friedhof. Es ist grau.

Ich bin aufgeregt. Sehr selten kommen Freunde mit zum Grab. Meist bin ich allein. Sind wir allein. Wir erzählen. Von ihrer Kur. Eine Mutter-Kind-Kur mit Trauerangeboten. Ihre Tochter starb vor 14 Monaten. Genau heute. Vor 14 Monaten. Heiligabend.

Sie ist mir sehr nah. Ganz nah. Laura und ihre Tochter. Damals haben wir uns geschrieben. Ich durfte sie kennenlernen. Ihre Tochter. Durch ihre Worte. Ihre Gefühle zu ihr. Dafür bin ich dankbar. Sehr dankbar. Ich durfte erleben, wie sie nach Hause kam. Nach der Geburt.

Die Geburt. Und dann die Diagnose. Mit der Diagnose wird sie nicht lange leben, wurde gesagt. Was soll das bedeuten? Was? Was und wie und wo? Und Worte? Welche Worte? Halten. Das war dran. Ihre Tochter halten. Und ihre Geschwister halten. Und ihren Mann. Alle. Halten. Irgendwie. Nur wie irgendwie?

Wir haben geschrieben. Pflegedienst. Ja oder nein? Sie haben sich dagegen entschieden. Nachdem jemand da war. Eine Nacht und ein Tag. Es nicht zum Aushalten war. Sich nicht richtig anfühlte. Dann kam keiner mehr. Nur sie als Familie. Das Palliativteam war da. Das war gut, sagt Laura. So wichtig. Der Halt durch das Team.

Wir haben geschrieben. In der Zeit. Und doch war es nicht nur das Schreiben und Lesen. Das war mehr. Ich konnte ihre Tochter spüren. Förmlich spüren. Habe immer wieder gefragt, wie fühlt sie sich an? Ich durfte Bilder sehen. Ganz beschenkt war ich. Bin ich immer noch. Da schliefen alle zusammen im Familienbett. Alle zusammen. Welch ein Glück, dachte ich. Welch ein Glück.

Diese Erfahrung wird bleiben. Das kann keiner mehr nehmen. Dieses Glück. Alle zusammen im Familienbett. Ein schmerzhaftes Glück. Dann gab es diese Nachricht. Krise. Schwere Krise. Und ich spürte was das beutet. Vielleicht. Wie es war. Damals. Bei Josef. Ihre Tochter hörte auf zu atmen. Sie haben ihr helfen können. Irgendwie. Wie, wissen sie nicht. Haben gehandelt. So wie es gerade richtig war. Es war richtig. Ihre Tochter atmete wieder.

Und dann, schrieb Laura, wusste sie, was es bedeutet. Sie wird nicht lange leben. Sie wird sterben. Da war er. Der Tod. War fühlbar. Da war er. Dann gab es diese Nacht. Ihr Mann war verreist mit den beiden Geschwistern. Es war ja Advent. Ach, du Advent.

Der Stein für Lauras Tochter Marle am Meer.

Laura war allein mit ihrer Tochter. Eine innige Mutter-Tochter Nacht. Ganz innig. Das Palliativteam kam. Öfter. Immer öfter. Das war gut, sagt Laura. Wir konnten sprechen. Konnten halten. Uns halten. Irgendwie.

Wir stehen vor Josefs Grab. Sein Stein. Er verändert sich. Moos hat sich gebildet. An manchen Stellen ist der Stein orange. An der Stelle mit dem Loch ist er noch hell. Der Stein. Wir berühren den Stein. Laura fragt mich, ob sie darf. Ja, sage ich. Ja. Ich bin ganz berührt von ihrer Behutsamkeit.

Sie hat eine Hyazinthe mitgebracht. Ja, sage ich. Ja. Du darfst sie einpflanzen. Ich zünde eine Kerze an. Berühre den Stein. Fahre mit meinen Händen über die Spirale an der Rückseite. Eine Verbindung spüre ich. Etwas ganz Intimes zu diesem Stein. Ich möchte nicht darüber nachdenken. Es annehmen. Einfach annehmen. Nicht zerdenken. Wieso? Weshalb? Warum?

Es ist wie es ist. Dafür bin ich dankbar. Wir laufen noch etwas. Über den Friedhof. Der Himmel ist grau. Die Flugzeuge fliegen tief. Wir müssen immer wieder eine Pause machen, weil wir uns nicht hören können. Wir reden und hören bedacht. Behutsam und sanft. Dann gehen wir nochmal zum Grab. Verabschieden uns. Von Josef.

Wir setzen uns in ein Kaffee. Es ist Karneval. Die Bedienung ist verkleidet. Das wirkt befremdlich. Stört uns aber nicht. Wir trinken Kaffee. Reden. Behutsam. Innig. Reden über das Sterben. Ihrer Tochter. An dem Tag. Heiligabend. Ach.

Zwei Tage vorher schon war es klar. Ein klares Gefühl. Kein kaltes klares Gefühl. Ein anderes. Sie wussten es. Auf einer anderen Ebene, die nicht zu beschreiben ist. Ich weiß, sage ich. Ich weiß, weil ich es gespürt habe. Damals bei Josef. Nicht zu begreifen, wenn es selbst noch nicht gespürt wurde.

Und dann. Heiligabend. Sie waren noch spazieren. Die Palliativschwester und Ärztin dabei. Zu Hause. Dann. Heiligabend. Geschenke wurden ausgepackt. Dann hörte ihre Tochter auf. Auf zu atmen. Ganz dicht an ihrem Herzen. Die Glocken läuteten. Woher die Glocken? Eine Nacht war sie noch da. Waren sie zusammen. Alle zusammen. Welch ein schmerzhaftes Glück.

Wir sind ganz innig verbunden. Wir beide. Miteinander. Müssen doch los. Ins Leben. Laufen zur U-Bahn. Fahren zwei Stationen zusammen. Verabschieden uns. Umarmen uns. Ich steige in den Bus. Fahre nach Hause.

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