, Zu Hause 1

7.00 Uhr, der Wecker klingelt. Ich pumpe Milch ab. Klara wird wach. Darf ich fernsehen? fragt sie. Ja. Es ist ja Samstag. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Gehe ins Wohnzimmer.

Josef ist wach. Liegt im Arm der Schwester. Ich streichele ihm über den Kopf. Küsse ihn. Wie war die Nacht, frage ich. Ganz ruhig. Mitternacht war er wach. Ich habe ihm dann Märchen erzählt. Dabei schlief er wieder ein, sagt sie. Das ist schön, sage ich.

Ich gehe in die Küche. Stelle die leeren Milchflaschen in den Geschirrspüler und die vollen in den Kühlschrank. Ich setze Wasser für den Tee und Kaffee auf. Dann trage ich die Absauge ins Schlafzimmer. Uli ist wach. Ich verabschiede die Schwester. Bis heute Abend. Schlafen Sie gut.

Ich nehme unseren Josef. Trage ihn ins Schlafzimmer. Wir liegen alle zusammen im Bett. Das ist schön. Nach einer halben Stunde wird Josef unruhig. Uli und ich stehen mit ihm auf. Wollen Klara nicht weiter beim Fernsehen stören. Uli bereitet das Frühstück vor. Ich inhaliere Josef. Ziehe ihn vorsichtig um. Gebe ihm seine Morgenmilch. Ich bin innerlich immer noch sehr aufgewühlt. Von den Gesprächen der letzten Tage.

War es richtig so? Oder sind wir wirklich undankbar? Haben wir nicht das Recht, zu sagen, wo unsere Grenzen sind? Darf jetzt jeder unsere Grenzen überschreiten? Weil Eltern mit einem schwerstkranken Kind nicht mehr mündig sind? Weil sie abhängig von Hilfen sind? Und damit rechtlos sind? Kein Anrecht mehr haben, menschenwürdig behandelt zu werden? Oder sehe ich das alles falsch? In meinem Kopf dreht sich alles.

Erstmal frühstücken. Einatmen und Ausatmen. Spazierengehen hilft. Bewegung. Wir ziehen uns an. Ziehen Josef an. Ich nehme die Absauge. Uli trägt Josef in der Kindertragetasche die Treppe runter. Klara nimmt ihren Roller mit. Die Sonne scheint. Es ist noch kalt. Noch keine Frühlingssonne. Trotzdem habe ich das Gefühl von Frühlingserwachen. Es riecht erdig. Es ist schön draußen, auf unserem Feldweg.

Kurz vor 12.00 Uhr sind wir wieder zurück. 12.00 Uhr klingelt es. Die Schwester. Sie wirkt distanziert. Ich frage direkt, was ist. Ob sie auch eine Mail von der PDL bekommen hat. Sie sagt, ja. Ich erkläre mich nicht. Sage nur, sie ist nicht gemeint. Das mit dem Vertrauen. Sondern die Leitung. Okay, sagt sie. Ich dachte schon, sagt sie. Es ist gut, sage ich. Schon gut.

Josef bekommt von mir seine Mittagsmilch. Seine Wangen sind so schön gerötet. Von der Luft und der Sonne. Ein Moment spüre ich das Glück! Josef ist hier bei uns. Er schläft in meinem Arm ein. Gut so, mein Josef. Schlaf, mein liebster kleiner Josef. Ich lege ihn in sein Bett.

Dann fahren Uli, Klara und ich einkaufen. Für unseren Besuch morgen. Heute habe ich keine Angst. Angst, jemanden zu treffen. Ich fühle mich stark. Ein starker Tag. Ein glücklicher Tag. Trotz des Konflikts mit dem Pflegedienst.

Als wir zurückkommen, ist Josef wach. Er liegt im Arm der Schwester. Sie hat ihm seine Hose und seinen Pullover ausgezogen. Ich bin verwirrt. Weiß sie denn nicht, dass er seine Körpertemperatur nicht gut halten kann? Was soll das? Ich frage sie, warum hat Josef nur noch seinen Body an? Sie antwortet, eine Freundin von ihr hat auch ein Baby und von ihr weiß sie, dass Babys nicht so warm angezogen werden müssen. In unserer Wohnung ist es doch so warm. Gerade jetzt, wo die Sonne rein scheint.

In mir brodelt es. Ich hole tief Luft. Sage mir innerlich: Freundlich bleiben, Anne. Freundlich bleiben. Ich antworte, Josef hat einen schweren Hirnschaden. Er kann seine Körpertemperatur nicht gut halten.

Dann nehme ich Josef. Küsse ihn. Meine Tränen versuche ich zu unterdrücken. Ich ziehe ihn vorsichtig wieder an. Einatmen und Ausatmen. Wieder so eine Grenzüberschreitung. Bin ich zu empfindlich? Ich gebe ihr Josef. Inhaliert muss er werden.

Wir packen die eingekauften Dinge aus. Einatmen und Ausatmen. Nachdem wir zu Hause alles sortiert haben, nehme ich Josef. Schicke die Schwester nach Hause. Einen schönen Samstag, wünsche ich noch.

Ich halte Josef in meinem Arm. Warm eingekuschelt. Mein Bär. Wir schaffen das. Wir schaffen das. Wir essen zusammen den Auflauf von gestern. Heute mal vor dem Fernseher. Klara schläft heute bei uns. Uli singt ihr vor: Weißt du, wie viel Sternlein stehen? Macht ihr das Hörspiel an. Josef ist ganz entspannt heute. Uli nimmt ihn zu sich. Legt ihn auf seinen Bauch. Bauch an Bauch. Vater und Sohn. So schön.

22.00 Uhr klingelt es. Die Nachtschwester. Die Krisennachtschwester. Wir geben ihr Josef. Den schlafenden, kleinen Josef. Um 3.00 Uhr pumpe ich Milch ab. Gehe in die Küche und stelle sie in den Kühlschrank. Ich schaue nach Josef. Er liegt in seinem Bett. Schläft. Ganz ruhig. Alles gut? Ja.

Zuletzt aktualisiert am: 23.02.2020


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