, Zu Hause 1

Der Wecker klingelt. Es ist 6.00 Uhr. Ich stehe auf. Fühle mich dumpf. Immer noch. Gehe ins Bad. Wasche mich. Aus dem Wohnzimmer höre ich die Inhalette. Alles nach Plan, denke ich. Alles nach Plan.

Ich gehe ins Wohnzimmer. Die Schwester steht an Josefs Bett. Mit dem Rücken zu mir. Herzfrequenz 129. Sauerstoffsättigung 98. Ich gehe in die Küche. Setze Wasser auf. Für Tee und Kaffee. Decke den Frühstückstisch.

Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Ich küsse ihren Kopf. Sie duftet gut, meine Klara. Dann setzt sie sich auf ihren Stuhl. Isst Cornflakes. Uli kommt. Ich gehe ins Wohnzimmer. Frage nach der Nacht.

Josef hatte wieder Sauerstoffsättigungsabfälle, sagt sie. Zwischen 2.00 Uhr und 4.00 Uhr war Josef wach. Er hat sich nur sehr schwer beruhigen können. Jetzt schläft er. Okay, sage ich. Die Schwester spült die Inhalette aus. Verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.

Ich setze mich zu Josef. Was ist los, mein Josef? Was ist in dir los, mein Bär? Josef schläft. Die Zahlen auf dem Monitor springen hin und her. Klara geht los. Los in die Schule. Uli winkt ihr nach. Bis er sie nicht mehr sieht.

Es ist kalt. Draußen. Januargrau. Ich räume. Tausche aus. Ganz automatisch. Neue Spritzen brauchen wir, sage ich zu Uli. Neue Spritzen. Uli schreibt es auf. Schaut auch die anderen Dinge durch. Es darf nichts fehlen. Josef wird wach. Ich schalte den Monitor aus. Nehme ihn aus seinem Bett. Inhaliere Josef. Sauge ihn vorsichtig ab. Ganz vorsichtig. Lege ihn mir über die Knie. Damit das Sekret rauslaufen kann.

Das Telefon klingelt. Das SAPV-Team. Fragen. Uli berichtet. Sagt. Fieber. Immer mal. Sauerstoffsättigungsabfälle. Wir kommen, sagt die Schwester vom SAPV-Team. Wir kommen. Gut, sagt Uli. Gut.

Um 10.00 Uhr klingelt es. Das SAPV-Team. Ich ziehe Josef vorsichtig aus. Der Arzt hört ab. Schaut sich Josef an. Wir sprechen. Lange. Über Josef. Er sagt, wir können nur abwarten. Schauen, was Josef macht. Er setzt ein Medikament an. Für die Atmung. Vielleicht wird es etwas besser.

Um 10.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Der Arzt spricht mit ihr. Unterschreibt die Verordnung. Das Fenster ist wieder zu, denke ich. Sobald jemand uns nicht ganz Vertrautes da ist, sprechen wir nicht mehr offen. Über unseren Eindruck von Josef. Unseren Gefühlen. Unseren Ängsten. Befürchtungen. Hoffnungen.

Das Fenster öffnet sich nur wenigen vertrauten Menschen. Menschen, denen wir uns zumuten können. Menschen, die uns nicht bewerten. Menschen, denen wir uns zeigen können. Ohne Verletzungen zu befürchten. Einatmen und Ausatmen. Das SAPV-Team verabschiedet sich.

Um 11.00 Uhr klingelt es. Die liebe Logopädin. Ich freue mich. Wie ein Anker. Diese warme Frau. Sie legt sich alles zurecht. Begrüßt Josef. Nimmt ihn in den Arm. Beginnt mit seinen Füßen und Händen. Arbeitet sich zum Gesicht vor. Ich bringe ihr etwas Eis. Sie stimuliert damit seine Stirn. Josef reagiert. Dreht seinen Kopf weg. Wir freuen uns. Ich küsse Josef. Nehme ihn wieder. Wir verabschieden uns.

Uli telefoniert. Sagt zu mir. Ganz leise. Morgen haben wir den Termin. Mit dem Pflegedienst. Gut, sage ich. Gut. Josef schläft wieder ein. Ich lege ihn in sein Bett.

Um 13.00 Uhr klingelt es. Die liebe Physiotherapeutin. Ich freue mich. Sehr. Wünschte. Ich könnte sie mitnehmen. Nach Berlin. Sie und die Logopädin. Ich wecke Josef. Ganz sacht. Überlasse ihr meinen Josef. Sie dreht ihn. Streicht an seinen Füßen und Händen. Heute reagiert Josef. An den Füßen. Dann spürt sie nach dem Sekret. Sagt. Wie immer. Keine Auffälligkeiten. Gut, sage ich. Gut.

Zum Abschied umarmen wir uns. Josef liegt im Arm der Schwester. Schläft langsam wieder ein. Uli und ich gehen los. Los zum Hort. Klara abholen. Sie kommt mit. Hüpft und springt.

Zu Hause. Tee. Kakao und Kaffee. Kekse. Ich nehme Josef. Die Schwester verabschieden wir. Wir reden. Uli und ich. Klara wird auch gefragt. Was wünschen wir uns von dem neuen Pflegedienst? Wie kann es werden? Vielleicht besser werden. Mit dem eigenen Zimmer von Josef. Den abgegrenzten Bereichen. Mit der Nähe und der Distanz. Mit dem Vertrauen.

Zum Abendessen gibt es Nudeln. Ich gebe Josef seinen Abendbrei. Inhaliere ihn. Sauge ihn vorsichtig ab. Zusammen schauen wir Kinderfernsehen. Uli bringt Klara ins Bett. Liest ihr vor. Macht ihr das Hörspiel an. Ich lege den schlafenden Josef in sein Bett. Herzfrequenz 111. Sauerstoffsättigung 98. Alles gut, denke ich. Alles gut.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Wir gehen ins Bett. Schlafen. Unruhig.

Zuletzt aktualisiert am: 29.12.2020


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