, Zu Hause 1

Der Wecker klingelt um 6.00 Uhr. Ich stehe auf. Samstag ist heute. Seminartag. Einatmen und Ausatmen. Ich hadere mit mir. Fahre ich? Fahre ich nicht? Ist es wichtig? Jetzt?

Ich gehe ins Bad. Wasche mich. Draußen nieselt es. Es ist mild für Dezember. Ich gehe ins Wohnzimmer. Josef ist wach. Liegt im Arm der Schwester. Wird gerade inhaliert. Er streckt sich. Immer wieder. Ich nehme ihn in den Arm. Küsse ihn.

Die Schwester sieht sehr müde aus. Stöhnt. Sagt, sie ist geschafft. Die Nacht hat sie geschafft. Ich frage, wie es war. Er war um 24.00 Uhr, um 3.00 Uhr und um 5.00 Uhr wach. Die Vitalwerte waren in der Norm. Keine erhöhte Temperatur. Viel weißes Sekret.

Sie steht auf. Spült die Inhalette aus. Dann gebe ich ihr Josef wieder. Ich bin sehr müde, sagt sie. Ich weiß, sage ich. Habe ein schlechtes Gewissen.

Sage, ich muss mich nur fertig machen und Uli wecken. Na gut, sagt sie. Dann fällt mir ein. Sie hat doch bis 7.30 Uhr Dienst. Ich brauche kein schlechtes Gewissen haben. Wie verkehrt. Dieses Gefühl. Die Schwester entlasten zu müssen. Sie ist doch da um uns, denke ich. Oder? Verlange ich zu viel?

Ich gehe in die Küche. Setze Wasser auf. Für Tee und Kaffee. Packe meine Tasche. Unterlagen. Thermoskanne. Einen Apfel. Uli kommt. Fragt, wie die Nacht war. Josef war viel wach, sagt die Schwester. Okay, sagt Uli. Du fährst doch, oder? Was denkst du, frage ich Uli. Soll ich hier bleiben?

Nein, sagt Uli. Nein. Es wird dir gut tun. Für ein Wochenende nicht nur Mama zu sein. Wenn was ist, rufe ich an, sagt Uli. Er nimmt mich in den Arm. Ganz leise. Behutsam. Heimlich. Mir laufen Tränen. Leise Tränen. Wenn was ist, ruf an. Ja, sagt er. Ja.

Ich gehe los. Heimlich. Gehe ich los. Klara schläft noch. Ich fahre mit dem Rad zum Bahnhof. Es nieselt. Die kühle Luft und der Regen tun mir gut. Ich spüre mich. Der Zug kommt gleich.

Ich sitze im Zug. Es ist ruhig. An diesem Samstagmorgen. Ich trinke meinen Tee. Fühle mich wie in einer Blase. Als hätte ich mit dem Außen nichts zu tun. Es fällt mir schwer. Von einer Welt in die andere Welt zu wechseln. Haben sie doch so wenig miteinander zu tun.

Im Seminar. Ein Platz wurde für mich freigehalten. Wie schön das ist. Begrüßungen. Müde Gesichter. Der Geruch von Pfefferkuchen und Mandarinen. Es wird gut für uns gesorgt. Ich lasse mich ein. Auf das Seminar. So weit wie es geht. Fange meine Gedanken immer wieder ein. Versuche mich zu verorten. Für die Stunden.

Erwische mich. Wie meine Gedanken weggleiten. Nach Hause gleiten. Bei den anstehenden Veränderungen sind. Es sich gut anfühlt. Unser Mut, etwas verändern zu wollen. Gleichzeitig ist da die Angst. Die Angst, nicht genug Kraft zu haben.

In den Pausen rufe ich zu Hause an. Alles gut, sagt Uli. Die Schwester ist da. Josef geht es gut. Kein Fieber. Keine Krämpfe. Und Klara, frage ich. Ihr geht es auch gut. Wir holen dich ab, sagt Uli. Wollen noch auf den Weihnachtsmarkt. Schön, sage ich. Ich freue mich, sage ich auch.

Der Seminarnachmittag ist zäh. Fühlt sich zäh an. Mir schmerzt der Rücken. Vom Sitzen. Die Schulter. Vom Halten. Vom Josefhalten. Vom Aushalten. Schmerzt es mich. Heute spüre ich den körperlichen Schmerz.

Um 17.30 Uhr ist das Seminar vorbei. Alle strömen auseinander. Uli und Klara warten auf mich. Ich bin unruhig. Möchte lieber nach Hause. Klara möchte gern Weihnachtsmarktcrêpes essen. Das machen wir. Meine Unruhe schiebe ich zur Seite. Es nieselt leicht. Nach dem Essen fahren wir. Kommen gut durch.

Sind zu Hause. Josef ist wach. Liegt im Arm der Schwester. Sie liest ihm eine Geschichte vor. Das ist schön. Schön und schmerzhaft. Ich frage sie nach dem Tag. Sie sagt, Josef war relativ entspannt. Gegen 17.00 Uhr war er sehr unruhig. Sie hat ihm ein Zäpfchen gegeben. Jetzt sei es wieder gut.

Dann fragt sie mich, ob sie Josef vielleicht etwas Brei in den Mund geben kann. Damit er ein wenig schmecken kann. Ich sage, dass besprechen wir mit der Logopädin und den Ärzten. Ich nehme Josef. Küsse ihn. Er ist müde. Wirkt heute nicht so präsent wie gestern. Ich halte ihn. Eine lange Weile. Die Schwester verabschiedet sich.

Uli nimmt Josef. Ich ziehe mich um. Bereite das Abendbrot vor. Brot. Klara ist satt und glücklich. Ich gebe Josef seinen Abendbrei. Uli inhaliert ihn. Saugt ihn ab. Wir schauen Kinderfernsehen. Uli bringt Klara in unser Bett. Liest ihr vor. Macht ihr das Hörspiel an. Josef schläft auf mir ein. Wir atmen zusammen. Ich genieße es. Er liegt auf meiner Brust. Sein Kopf auf meinem Herz. Spürst du mein Herz, mein Josef. Spürst du es?

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 124. Sauerstoffsättigung 96. Wir gehen ins Bett. Schlafen.

Zuletzt aktualisiert am: 28.11.2020


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