, Zu Hause 2

Der Wecker klingelt um 7.00 Uhr. Ich bin wach. Vorher. Schon. Klara schläft. Wie gut, denke ich. Sie schläft voller Vertrauen. Wurde nicht angesteckt. Von unserer Unruhe. Verunsicherung. Im Umgang mit den Zuständen von Josef. Die sich verändern. Täglich verändern.

Täglich stellen wir uns wieder um. Und ein. Nehmen an. Richten uns ein. Um uns dann wieder und wieder neu anzupassen. Sind glücklich, wenn es ein bis zwei Tage gibt, an denen nichts Neues passiert. Es einfach so bleibt. Für wenige Tage. Dann sind wir schon glücklich. Atmen auf. Atmen durch.

Nehmen Anlauf. Für die nächste Anpassung. Vertrauen auf unsere Energie. Darauf, dass wir es schaffen. Die Kraft haben. Darauf vertrauen wir. Woher auch immer wir sie nehmen. Die Kraft. Woher sie auch kommen mag.

Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Ich weine. Still. Ein stilles und heimliches Weinen. Das gönne ich mir. Fließen lassen. Kurz fließen lassen. Ich wasche mein Gesicht. Noch einmal.

Gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Gehe auf den Balkon. Der Fuchs. Der Schulhoffuchs rennt über den Hof. Ich freue mich. Mein Fuchsfreund hat sich heute gezeigt. Ein gutes Zeichen, denke ich.

Ich gehe in Josefs Zimmer. Josef ist wach. Die Schwester hält ihn im Arm. Seine Atmung ist angestrengt. Ich nehme ihn. Küsse ihn. Frage nach der Nacht. Josef war unruhig, sagt sie. Mitternacht war er wach. Schwer zu beruhigen. Mit hohen Herzfrequenzen. Extra inhaliert hat sie ihn. Schmerzmedikamente gegeben. Kein Fieber. Viel Sekret.

Sie räumt. Spült. Wechselt aus. Zieht auf. Verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke. Uli kommt. Ich inhaliere Josef. Uli saugt ihn ab. Dann setzen wir uns zusammen auf den Balkon. Es wird warm heute. Ein heller und warmer Tag.

Josef liegt über meinen Knien. Schläft langsam wieder ein. Wir trinken Kaffee. Tee. Sprechen. Leise. Das haben wir uns angewöhnt. Leise zu sprechen. Bedächtig zu sprechen. Damit uns niemand hört. Wir niemanden stören. Mit unseren Worten.

Klara kommt zu uns. Fragt, ob sie fernsehen darf. Ja, sage ich. Ja. Es ist ja Wochenende. Uli deckt den Frühstückstisch. Ich ziehe Josef langsam um. Vorsichtig und langsam. Lasse mir Zeit.

Heute kommt keine Tagdienstschwester. Heute nicht. Niemand wird nach der PEG fragen. Ich werde nicht beobachtet. Wir frühstücken. Josef bekommt seinen Morgenbrei. Ich setze ihn in seinen Therapiestuhl. Fahre ihn an den Balkon.

Josef schlummert ein. Hat die Augen halb auf. Oder halb zu. Josef ist etwas angespannt. Seine Augen wandern von links nach rechts. Dennoch sieht er aus, als würde er schlafen.

Was geht in dir vor, mein Josef? Ich küsse ihn. Halte seine Hand. Seine linke Hand. Er dreht sie manchmal ganz leicht. Dann zittert sie. Ich küsse seine Hand. Weiß nicht, was die Drehung bedeutet. Weiß nur, sie gehört zu Josef. Diese Bewegung mit der Hand. Einatmen und Ausatmen.

Um 13.30 Uhr klingelt es. Die ehemalige Lehrerin von Klara besucht uns. Wir freuen uns sehr. Sie strömt Vertrautheit aus. Liebevolle Vertrautheit. Wir trinken Tee. Kaffee. Kekse gibt es auch. Josef in meinem Arm.

Dann bringen wir sie zum Bahnhof. Laufen durch die Gärten. Es ist warm. Der Himmel verdunkelt sich etwas. Wir sind da. Am Bahnhof. Sagen dann Du zueinander. Sie ist ja nicht mehr Klaras Lehrerin. Wir umarmen uns. Winken uns nach.

Wir laufen nach Hause. Es fängt an zu regnen. Dicke Tropfen. Regen, mein Josef. Das ist Sommerregen. Klara hat Angst vor einem Gewitter. Wir beeilen uns. Kommen an. Zu Hause. Es gewittert. Klara weint. Weil sie Angst hat. Ich halte sie.

Josef, mein Josef. Wird blau. Atmet nicht mehr. Josef, mein Josef. Atmen nicht vergessen. Uli saugt Josef ab. Inhaliert. Dann atmet er wieder. Mit einem lauten Seufzer. Er ist angespannt. Sein Körper schreit. Temperatur 39,6. Klara weint nicht mehr. Ist ganz ruhig.

Uli ruft beim SAPV-Team an. Sie kommen, sagt die Schwester. Sind wirklich gleich da. Uli hält Josef. Ich halte Klara. Josef atmet schwer. Herzfrequenz 180. Sauerstoffsättigung 94. Uli hält Klara. Ich halte Josef. Josef, mein Josef. Inhaliert soll er werden. Cortison bekommt er.

Es wird langsam besser. Klara möchte fernsehen. Ja, sagen wir. Ja. Die Ärztin und die Schwester bleiben. Bis. Bis wir sagen, wir kommen zurecht. Wieder. Mit der neuen Situation. Rufen an, wenn was ist. Dann melden wir uns.

Ich halte Josef. Er entspannt sich. Schläft ein. In meinem Arm. Abendbrot. Brot. Fernsehen.

21.30 Uhr, es klingelt. Die Schwester. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 130. Sauerstoffsättigung 96. Wir gehen ins Bett. Schlafen.

Zuletzt aktualisiert am: 29.05.2021


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