, Krankenhaus

Wir bringen Klara in die Schule. Allein läuft sie vom Tor in das Gebäude. Uli wird sie heute nach der Schule abholen und dann mit ihr in die Klinik kommen. Heute wird ihr Abschiedstag von Josef sein.

Wir fahren durch den Berufsverkehr in die Klinik. Es ist hell als wir ankommen. Wir klingeln an der Schleuse. Gehen den Gang runter. Dann rechts. Wir schließen unsere Sachen ein. Desinfizieren unsere Hände. Ich stelle die Milch in den Kühlschrank.

Liebe Schwester, wie war die Nacht? Unverändert. Stabil, der Josef. Die Augen hat er geöffnet. Wie bitte? Die Augen hat Josef geöffnet. Unfassbar. Wir eilen zu Josef.

Tatsächlich. Er hat das rechte Auge etwas geöffnet. Unglaublich. Guten Morgen lieber Josef, siehst du mich? Bist du wach? Damit die Augen nicht austrocknen bekommt er ein Augengel. Er kann nicht blinzeln. Es fehlt ihm auch der Lidschluss.

Josef bewegt sich mehr. Unkontrolliert. Durch warme Hände lässt er sich beruhigen. Von der Schwester lasse ich mir Josef auf meine Brust legen. Ganz dicht. Herz an Herz. Seine Beatmung klackt. Schmerzhaft ist es. Gleichzeitig schön. Seine Haut zu spüren, seinen kleinen perfekten Körper zu betasten. Ich versuche, alles aufzusaugen.

Um die Mittagszeit kommt meine Hebamme. Sie begrüßt Josef. Tränen fließen. Wir ziehen uns ins Elternzimmer zurück. Uli bleibt allein mit Josef. Sitzt bei ihm. Meine Hebamme und ich sprechen über meine Muttermilch. Ich möchte nicht aufhören mit dem Abpumpen, solange Josef meine Milch noch braucht.

Wenn er tot ist, wie ist es dann mit meiner Milch? Salbeitee soll ich trinken. Das wird helfen. Sie lässt mir welchen da. Sie schaut sich meinen Bauch an. Alles gut, Anne, sagt sie. Sie fragt, ob wir Josef mit nach Hause nehmen wollen, wenn er gestorben ist? Dass er einmal in seinem Bett liegen kann. Einmal zu Hause war.

Ich habe keine Vorstellung davon, wie es sein wird, mit unserem toten Josef durch die Stadt zu fahren. Ich kann keine Entscheidung treffen. Nicht jetzt. Meine Hebamme spricht mit der Ärztin. Sie meint, es wäre alles kein Problem. Meine Hebamme verabschiedet sich von Josef und uns. Gut, dass sie da war.

Uli macht sich auf den Weg zur Schule. Klara holen. Ich bleibe allein bei Josef. Recht schnell sind sie da. Die Beiden. Klara hat ein Heft mitgebracht. Mit lauter Kerzen. Jeder aus ihrer Klasse hat für Josef eine Kerze gestaltet und ihm viel Glück gewünscht.

Mir laufen die Tränen vor Rührung. Ein Kerzenbuch für Josef! Klara berührt Josef. Sie darf ihn noch einmal auf den Arm nehmen. Dann malt sie Bilder. Neben dem Bett von Josef haben die Schwestern für Klara einen kleinen Tisch gestellt. Malzeug liegt darauf. Es ist so rührend, wie sich alle um uns kümmern.

Am Nachmittag sprechen wir mit dem Oberarzt. Oder spricht der Oberarzt mit uns? Es habe eine Teamsitzung zu Josef gegeben. Darüber möchte er mit uns sprechen. Klara malt währenddessen bei Josef. Eine Schwester ist bei den Kindern.

Der Oberarzt fragt, ob morgen der Beatmungsschlauch von Josef gezogen werden soll. Bleibt es bei morgen? Ja. Morgen früh soll der Beatmungsschlauch gezogen werden. Von der Ärztin. Die Seelsorgerin und eine Schwester werden dabei sein. Es wird Morphin bereit stehen, falls wir den Eindruck haben, es gehe Josef schlechter.

Ich äußere meine Angst, Josef könne ersticken. Nein, meint der Oberarzt, wir sorgen dafür, dass er nicht erstickt, nicht friert, nicht hungert. Er wird regelmäßig abgesaugt werden. Ersticken wird er nicht, der Josef.

Die Ärzte gehen davon aus, dass der Atemantrieb von Josef nicht lange reichen wird. Wahrscheinlich wird Josef ins Koma fallen, weil er sich nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgen kann. Es kann Stunden dauern. Vielleicht auch Tage. Die Elternberatung reserviert für uns ein Zimmer im nahegelegenen Hotel. Ja. Danke.

Wir gehen zu unseren Kindern. Klara möchte nach Hause. Lieber Josef, sagt sie, viel Glück morgen! Ganz dumpf fahren wir nach Hause. Schlaf gut, lieber Josef, schlaf gut!

Zuletzt aktualisiert am: 28.11.2019


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