, Krankenhaus

Sehr früh im Hotel aufgewacht. Es ist Samstag. Adventsamstag. Ich rufe sofort in der Klinik an und erwische den Nachtdienst noch. Wie geht es Josef, Schwester?

Gut. Gut geht es ihm. Er habe viel Sekret. Muss viel abgesaugt werden. Seine Werte sind stabil. Gut, sage ich. Ich komme gleich. Möchte ihn für den Tag umziehen und waschen.

Schnell ziehe ich mich um. Pumpe Milch ab. Bespreche mit Uli die nächsten Stunden. Er wird Klara abholen und sie mit in die Klinik bringen. Ich werde in der Klinik bei Josef sein. Wie machen wir es mit dem Hotelzimmer? Bleiben wir eine Nacht länger? Werden das in der Klinik besprechen.

Ich laufe schnell durch den Morgen. Es ist ruhig. Viel ruhiger als in der Woche. Der kleine Schleichweg in die Klinik ist trocken heute. Etwas gefroren.

Durch die Notaufnahme. Treppe rauf. Gang runter. Klingeln. Die Schleuse öffnet sich. Gehe den Gang runter, dann rechts. Ich schließe meine Sachen ein. Desinfiziere meine Hände. Stelle die Milch in den Kühlschrank. Gehe zu den Schwestern.

Ich bin da, sage ich. Möchte Josef frisch machen. Für den Tag. An zwei anderen Inkubatoren vorbei gehen wir in Josefs Zimmer. Er atmet. Hörbar. Es klingt wie ein Rauschen. Als würde jemand durch einen Strohhalm Wassertropfen einatmen. So ungefähr klingt seine Atmung. Einatmen und Ausatmen.

Guten Morgen, mein lieber kleiner Josef. Ich bin da. Ich berühre und küsse ihn. Langsam ziehe ich ihn um. Unsicher bin ich. Seine Körperspannung ist ganz schlapp. Manchmal streckt er sich und seine Arme und Beine sind ganz steif. Ich bin vorsichtig mit dir, Josef. Wir müssen uns kennenlernen, ja.

Glücklich bin ich. Über die Stunden mehr, die wir haben. Mir wird Josef zum Kuscheln gegeben. Auf meinem Schoß liegt Josef. Auf der Seite. Damit das viele Sekret rauslaufen kann. Ich halte seinen schönen Kopf. Er fühlt sich warm an.

Plötzlich piept die Überwachung. Seine Herzfrequenz geht runter. Er wird blau. Die Schwester kommt. Saugt ihn ab. Er erholt sich. Seine Herzfrequenz wird wieder normal. Mein ganzer Körper ist erstarrt. Einatmen und Ausatmen.

Die Ärztin kommt, unsere Ärztin, wir sprechen. Über das Sterben und über Morphingabe. Sie schätzt ein, momentan brauche Josef noch kein Morphin. Am besten, meint sie, können Sie es einschätzen. Sie als seine Mutter. Kann ich das?

Klara und Uli kommen durch den Wintertag. Welch eine Freude! Klara spricht ganz verschwörerisch mit ihrem Bruder. Siehst du, Josef, ich hab doch gewusst. Du kannst atmen! Kann doch jeder!

Dann packt sie voller Stolz ihr Lebkuchenhaus aus und stellt es direkt auf den Tisch neben dem Fenster. Wir bewundern es und sagen: Ah und Oh.

Uli packt ebenfalls ein Päckchen aus. Seine Patentante hat Plätzchen geschickt. Es ist doch Weihnachten. Wir essen köstliche kleine Plätzchen auf der Intensivstation. So viele Geschenke heute!

Wir sind den ganzen Tag bei Josef. Unsere Stimmung ist gelöster. Mit dem Kuscheln wechseln wir uns ab. Am Nachmittag gehe ich mit Klara einen Kakao trinken. Mit Sahne versteht sich. Sie wünscht es sich. Im Hotel können wir länger bleiben. Auch bis Montag.

Den ganzen Tag ist Josef stabil. Wir säuseln ihm zur Nacht Liebesschwüre in sein Ohr und wünschen ihm einen guten Schlaf. Schlaf gut, Josef. Bis morgen. Vielleicht?

Zuletzt aktualisiert am: 24.12.2019


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