, Kinderhospiz

Es ist 6.00 Uhr. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Ich schaue auf mein Telefon. Kein Anruf. Mir laufen Tränen. Leise Tränen. Gegen 7.00 Uhr stehe ich auf. Gehe aus dem Zimmer. Muss mich orientieren. Wo bin ich? Wo bist du, mein Josef? Wo sind wir?

Ich schwebe. Wir schweben mit dir, mein Josef. Wir schweben. Ich gehe ins Bad. Wasche mich. Gehe in den Garten. Es ist kühl. Das feuchte Gras an den Füßen fühlt sich angenehm an. Ich gehe ans Wasser. Setze mich auf den Steg. Meine Füße im Wasser. Im Kinderhospiz kann ich noch nicht anrufen, denke ich. Jetzt ist Übergabe. Nachher. Gegen 9.00 Uhr. Frühestens.

Ich bin nicht wirklich hier. An diesem Ort. Schwebe. Josef, du nimmst uns mit. Jetzt schwebe ich auch. Wir schweben. Nicht mehr wirklich verortet mit dieser Welt. Die Herbergsmutter kommt in den Garten. Grüßt kurz. Ich bin froh darum, dass sie keine Fragen stellt. Wir einfach da sein dürfen.

Uli kommt. Ist ganz verschlafen. Setzt sich zu mir. Wir sind still. Kein Anruf, sage ich. Gut, sagt Uli. Gut. Es ist 7.30 Uhr. Klara kommt zu uns. Kuschelt sich an uns. Was wollen wir heute machen, frage ich. Mit dem Boot fahren. Okay, sagt Uli. Okay. Erst einmal frühstücken.

Wir ziehen uns an. Gehen los in den Ort. Auf dem Weg rufe ich im Kinderhospiz an. Endlich. Anne hier, sage ich. Werde gleich weitergereicht. Der Pfleger ist am Telefon. Kennt Josef gut. Uns. Ich frage, wie es Josef geht. Stabil, sagt er. Auf niedrigem Niveau ist Josef stabil.

In der Nacht schlief Josef ruhig. Er hatte häufig Atemaussetzer, erholte sich aber spontan. Kein Fieber. Viel Sekret. Wir passen auf Josef auf, sagt er. Ich weiß, sage ich. Ich weiß. Macht es euch schön am See, sagt er. Ja, sage ich. Ja. Ich melde mich heute Abend. Ich lege auf.

Bin unruhig. Unsicher. Ist es wirklich richtig, dass wir hier sind und nicht bei Josef? Klara hüpft und springt. Ja, denke ich. Wir brauchen alle Abstand. Kurz. Eine Pause. Um wieder etwas Distanz und Kraft zu gewinnen. Es ist nicht gut, wenn wir schweben. Einer von uns muss sich verankern. Wenigsten ein wenig. Sonst fliegen wir alle davon. Einatmen und Ausatmen.

Die Sonne scheint. Ein schöner Sommertag. Wir sind beim Bäcker. Kaufen Brötchen, Brot und etwas Kuchen. Laufen wieder in die Ferienwohnung. Stellen in den Garten einen Tisch. Decken ihn. Sitzen lange. Schauen auf den See. Sind still.

Klara legt sich auf die Sonnenliege und liest. Versinkt in ihrem Buch. Die Zeit. Ganz anders hier. Fühlt sich anders an. Nicht zu uns gehörig. Ich räume ab. Wasche ab. Packe die Badesachen. Klara creme ich unter Protest ein. Uli unterhält sich mit dem Herbergsvater über das Ruderboot. Dann steigen wir in das Boot.

Uli rudert mit uns los. Auf dem See ist es still. Heiß und still. Mein Telefon habe ich dabei. Schaue immer wieder auf das Telefon. Keine Nachricht. Kein Anruf. Es beruhigt mich nur kurz. Dann schaue ich wieder. Fühle mich gefangen auf diesem Boot. Gleichzeitig tut es gut, nichts machen zu können. Nichts.

Uli legt an einer Badestelle an. Andere Menschen sind da. Ich schaue sie an. Durch sie durch. Nehme sie nicht wirklich wahr. Nicke nur und sage Hallo. Uli und Klara baden. Ich schaue ihnen zu. Auf den See. Die Berge drum herum.

Ein schöner Ort. Ich sehe, es ist schön hier. Fühle es nicht. Bin verschlossen. Schwebend. Uli rudert zurück. Ich lege ihm ein Handtuch über die Schulter. Er verbrennt sonst.

Wir sind in unserer Ferienwohnung. Essen Kuchen. Trinken Brause. Kaffee. Klara macht es sich auf der Liege gemütlich und liest. Sie ist bald fertig mit dem ersten Band. Morgen, sage ich. Morgen kaufen wir dir noch ein oder zwei Bücher. Danke, sagt Klara. Danke.

Die Herbergsmutter kommt zu uns. Wir fragen nach Ausflugstipps. Sie zählt einiges auf. Wir beschließen, auf eine kleine Insel zu gehen. Sie zu erkunden. Laufen los. ich fühle mich wie in Watte. Versuche mir Mühe zu geben, anzukommen. Es gelingt mir nicht.

Die Insel ist schön. Es gibt ein Kino. An Freitagen wird ein Film gezeigt. Heute. Wir laufen weiter. Ich schaue auf die Uhr. Um 19.00 Uhr werde ich im Hospiz anrufen. So lange muss ich mich noch gedulden.

Zurück in der Ferienwohnung. Heute essen wir dort. Mozzarella mit Tomate und Brot. Ich rufe im Kinderhospiz an. Josef ist sehr schlapp, sagt die Schwester. Schläft viel. Die Vitalwerte sind in der Norm. Heute Nachmittag hatte er keine Atemaussetzer. Das neue Medikament wird eingeschlichen. Im Garten waren sie.

Wir sollen es uns gut gehen lassen, sagt sie. Josef geht es auch gut. Hier. Danke, sage ich. Ich freue mich, sage ich auch. Hoffnung schleicht sich an. Hoffnung. Vielleicht hilft das neue Medikament? Vielleicht? Ich bringe Klara ins Bett. Sie liest noch etwas. Uli und ich sitzen am See. Sind still. Reden kaum. Gehen ins Bett. Schlaf.

Zuletzt aktualisiert am: 24.12.2019


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