Erschöpft. Tiefe Erschöpfung. Josef halten. Küssen. Immer wieder küssen. Hilft doch nicht. Und hilft doch nicht. Josef zieht ins Kinderhospiz.
30.07.2019
Sie möchte etwas tun. Um die Situation zu verändern. Verurteilt uns dafür. Dass wir, in ihren Augen, nichts tun. Sie nicht erleichtern. Weil es so schwer auszuhalten ist. Das alles sagt sie nicht. Sie sagt, ihr müsst ja selber wissen.
31.07.2019
Die Herzfrequenzen sind hoch. Trotz Schmerzmedikamente. Es ist dann gerade so, sagt die Ärztin. Josef stirbt, sagt sie. Mein Herz. Ein Riesenschmerz. Es trifft mich gerade. Weil ich mir doch wünsche, dass er heute noch bei uns bleibt.
01.08.2019
Ich lege mich mit Josef in die Nestschaukel. Sein Kopf lege ich auf meine Brust. Auf mein Herz. Hoffe, es hilft ihm. Hilft ihm, sich zu beruhigen. Gleichmäßiger zu atmen. Noch ein wenig bei uns zu bleiben. Hoffen. Hoffen. Hoffen.
02.08.2019
Und merke, ich kann sie nicht ziehen lassen. Die Anspannung, weil ich aufmerksam sein muss. Verantwortung trage. Für meine Kinder. Für Josef. Für Klara. Kann mich nicht einfach fallen lassen. Den Tag den Tag sein lassen.
03.08.2019
Vielleicht bleibt es jetzt so? Mit Josef? Wie oft habe ich anderen Eltern im Kinderhospiz zugehört. Wie sie von solchen Krisen sprachen. Und dann hat sich ihr Kind doch stabilisiert. Auf einem schlechteren Niveau. Aber. Immerhin.
04.08.2019
Es ist schwer. Das Aushalten. Wir üben uns darin. Jede Stunde. Jeden Tag. Jede Woche. Monate. Jahre. Im Aushalten des Unveränderbaren. Das Aushalten. Josef. Wir üben das Aushalten. Bis wir wahre Meister sind. Im Aushalten.
05.08.2019
Ich habe das Gefühl, alles zieht an mir vorbei. Ich spüre nur noch uns und Josef. Meine Energie reicht nur noch für uns. Nicht mehr für Auseinandersetzungen. Nicht mehr für intensive Kontakte mit anderen Menschen.
06.08.2019
Ja, sage ich. Ja. Sie ist freundlich. Verabschiedet sich. Sie tut mir leid. Dass wir uns ihr zumuten. Sie uns aushalten muss. Aushalten, dass Josef vieles nicht kann. Nichts von dem kann. Auch das Atmen wird schwerer. Auch das Atmen.
07.08.2019
Das ist die Hoffnung. Die Hoffnung, die sich festsetzt. Immer wieder kommt. Immer wieder da ist. Ohne die es wohl nicht gehen könnte. Ohne diese Hoffnung. Wie sollen wir sonst leben? Wie sollen wir sonst aushalten?
08.08.2019
Schmerz. Da ist er wieder. Gestern etwas übertüncht von der Hoffnung. Heute zeigt er sich. Der Schmerz. Die Realität. Sobald Josef wach ist, krampft er. Ohne das Notfallmedikament geht es nicht mehr.
09.08.2019
Das Telefon klingelt. Klara ist dran. Sie weint. Hat Heimweh. Es ist so anders dort, sagt sie. So viele Kinder. Sie gibt mir ihre Betreuerin. Wir erzählen kurz. Ich bitte sie, Klara zu trösten. In den Arm zu nehmen, wenn sie es möchte.
10.08.2019
Laut schreien. Laut weinen. Laut wütend sein. Erlaube es mir nicht. Erlaube es mir nicht. Was sollen sie dann denken? Sie. Was sollen sie dann denken? Die Mutter ist nicht zurechnungsfähig. Die Mutter dreht durch.
11.08.2019
Ich gebe Josef seinen Brei. Seine Atmung ist unregelmäßig. Setzt aus. Immer wieder. Ich halte es kaum noch aus. Kurz denke ich jedes Mal, jetzt stirbt er. Jetzt stirbt er.
12.08.2019
Wir sprechen lange. Über Josef. Die Situation. Ein neuer Medikamentenplan wird besprochen. Ich fühle mich gestützt. Gehalten. Aufgefangen. Sie verabschieden sich. Warm und herzlich.
13.08.2019
Er atmet nicht mehr. Ich nehme ihn in meinen Arm. Halte ihn dicht an mich. Küsse ihn. Hoffe, meine Lebensenergie fließt zu ihm. Zu Josef. Ein lauter Seufzer. Ein Wimmern. Tränen. Josef atmet weiter.
14.08.2019
Ich fühle mich ganz verbunden mit meinem Josef. Meinem Kind. Und fühle, diese Verbundenheit wird Josef nicht hier in dieser Welt halten. Es ist eine andere Verbundenheit, die ich ganz stark fühle.
15.08.2019
Habe das Gefühl, leichter atmen zu können. Hoffe. Da ist sie wieder. Die Hoffnung. Hoffe auf eine ruhige Zeit. Auf etwas mehr ruhige Zeit. Noch. Ein klein wenig.
16.08.2019
Mein ganzer Körper ist angespannt. Als könnte ich mich so zusammenhalten. Als könnte ich zusammenhalten. Festhalten. Was auch immer.
17.08.2019
Josef reagiert nicht. Du musst nicht, mein Josef. Du musst nichts müssen. Josef schläft ein. Ich lege ihn vorsichtig in sein Bett. Die Logopädin verabschiedet sich.
18.08.2019
Verabschieden von den Wünschen. Den Hoffnungen. Prüfen. Immer wieder prüfen, wie die Realität ist. Es schmerzt. Erschöpft. Neu sortieren. Jeden Tag neu. Einatmen und Ausatmen. Ich verlange zu viel. Verlange zu viel.
19.08.2019
Am liebsten würde ich laut schreien. Alles rausschreien. Tue es nicht. Tue es nicht. Einatmen und Ausatmen. Es hilft nicht mehr. Das bewusste Einatmen und Ausatmen.
20.08.2019
Jetzt wegfahren? Ist es moralisch nicht verwerflich? Lassen wir Josef allein? Geben wir ihn weg? Und was ist mit Klara? Sie braucht uns doch auch. Braucht wenigstens vier Tage Sommerurlaub mit ihren Eltern. Oder?
21.08.2019
Wir sollen es uns gut gehen lassen, sagt sie. Josef geht es auch gut. Hier. Danke, sage ich. Ich freue mich, sage ich auch. Hoffnung schleicht sich an. Hoffnung. Vielleicht hilft das neue Medikament? Vielleicht?
22.08.2019
Da ist sie wieder. Die Hoffnung auf. Ohne eine Art von Hoffnung. Auf eine Perspektive. Habe ich das Gefühl, mich zu verlieren. Es ist nicht die Hoffnung auf Heilung. Auf Rettung. Es ist die Hoffnung auf etwas Linderung. Für Josef.
23.08.2019
Zu Hause schreit die Zeit: Beeile dich. Halte dich an den Plan. Jede Stunde ist mit Handlungen gefüllt. Inhalieren. Absaugen. Medikamente. Tee. Brei. Vitalwerte messen. Temperatur messen. Lagern. Beobachten. Immer beobachten.
24.08.2019
Ich hoffe, wir kommen rechtzeitig. Hoffe. Hoffe. Hoffe. Die Schwester hat nichts von Eile gesagt. Hat nicht gesagt, kommt sofort. Hat nicht gesagt, Josef stirbt jetzt.
25.08.2019
Ich freue mich. Ich und wir müssen nicht erklären. Sind einfach da. Sind willkommen. Das ist spürbar. Willkommen zu sein. Nichts leisten zu müssen. Einfach nur da sein. Mehr nicht. Mehr nicht.
26.08.2019
Ich spüre keine Verbindung nach draußen. Und doch haben wir ähnliche Themen. Schule. In wenigen Tagen ist wieder Schule. Für Klara. Klara, unsere Verbindung nach draußen.
27.08.2019
Vielleicht. Vielleicht. Vielleicht. Wirkt das Medikament gut. Die Krämpfe werden weniger. Josef stabilisiert sich. Vielleicht. Warum nicht? Warum verdammt nicht? Hier sind viele Kinder, die älter sind. Die schwere Krisen hatten.
28.08.2019
Ich schäme mich für meine große Hoffnung. Meine Zukunftspläne. Habe ich sie doch nur für mich gemacht. Und Josef aus den Augen verloren. Josef, mein Josef.
29.08.2019
Klara ist mit den Geschwisterkindern zusammen. Sie bereiten den Stand für morgen vor. Für das Sommerfest. Es ist schön, sie so zu sehen. Schön. Dass sie Kind sein darf. Schön, dass sie uns nicht trösten muss.