, 22. Monat

Der Wecker klingelt. Es ist 6.30 Uhr. Ich schalte ihn aus. Die Katze liegt auf Ulis Sachen. Ich setze mich. Mir ist schwindlig. Die Tür klappert. Ich warte.

Stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Decke den Frühstückstisch. Ich fühle mich matt. Dumpf.

Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Ich küsse sie. Auf ihren Kopf. Gehe in Josefs Zimmer. Herzfrequenz 110. Sauerstoffsättigung 95. Die Schwester steht an seinem Bett. Gibt Josef Medikamente. Tee. Über den Bauchschlauch.

Ich streichele Josefs Locken. Küsse ihn. Sein Mund steht auf. Sieht zerknautscht aus. Er liegt auf dem Bauch. Sein Kopf ist zur Seite gedreht. So bekommt er am besten Luft. Auf dem Rücken kann er nicht liegen. Würde ersticken. Josef stöhnt leicht. Ganz leicht. Einatmen und Ausatmen.

Ich frage nach der Nacht. Sie sagt, gegen drei war seine Atmung schlecht. Sie hat inhaliert. Abgesaugt. Irgendwann wurde es besser. Das Sekret ist sehr zäh und fest. Die Herzfrequenz schwankte wieder sehr. Kein Fieber. Okay, sage ich. Okay.

Sie räumt. Spült. Zieht auf. Wechselt aus. Klara geht los. Los in die Schule. Ich winke ihr. Bis ich sie nicht mehr sehe. Die Schwester verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.

Josef, mein Josef. Er schläft. Seine Augen sind fast geschlossen. Kein Wunder. Um 6.00 Uhr hat er das Schlafmedikament und ein Krampfmedikament bekommen. Um 7.00 Uhr noch einmal zwei. Ach. Josef, mein Josef. Was würde ich. Könnte ich. Geben. Alles, mein Bär. Alles.

Und doch. Weiß ich, es ist vermessen. Von mir. Ich kann nicht. Bin nicht allmächtig. Muss. Muss mich üben im Annehmen. Aushalten. Üben. Immer wieder. Jeden Tag neu. Josef, mein Josef.

Es klingelt. Die Schwester. Wir kennen sie kaum. Von unserem ehemals festen Team kommen nur noch drei Schwestern. Nur noch drei. Die anderen sind Springer. Einatmen und Ausatmen. Aushalten, mein Josef. Aushalten.

Um 8.30 Uhr klingelt es. Die Physiotherapeutin. Sie ist ganz sacht mit Josef. Er schläft. Sie dreht und wendet ihn vorsichtig. Sekret wird mobilisiert. Abgesaugt. Ich küsse Josef. Immer wieder. Das kann mir nicht genommen werden. Das Küssen. Berühren. Halten von Josef. Die Physiotherapeutin verabschiedet sich. Muss weiter. Ins Kinderhospiz.

Josef schläft. Ich gebe ihm vorsichtig seinen Morgenbrei. Durch den Bauchschlauch. Tee. Medikamente. Er schläft. Ich streichele Josef. Küsse ihn. Josef, mein Josef.

Es klingelt. Die Logopädin. Wellness heute für Josef. Wellness. Sie berührt seine Hände. Füße. Arme. Beine. Ganz vorsichtig arbeitet sie sich bis zu seinem Gesicht vor. Josef schläft. Du musst nicht, mein Josef. Du musst nicht müssen. Sie verabschiedet sich.

Josef wird wach. Seine Atmung verändert sich. Von einem Moment auf den anderen. Sie zieht. Ich inhaliere Josef. Die Schwester saugt ihn ab. Sie wirkt erschrocken. Sagt, so etwas kennt sie nicht.

Ich bin müde. Vom Erklären. Erkläre dennoch. Erkläre, was ich nicht erklären kann. Was so ist. Ist wie es ist. Ich lege Josef über meine Knie. Helfe ihm beim Atmen. Bin die ganze Zeit bei Josef und der Schwester.

Uli räumt in der Wohnung. Fährt einkaufen. Josef bekommt wieder das Schlafmedikament. Schläft nicht ein. Ist wach. Drei Stunden später kommt er wieder zur Ruhe. Scheinbar wirkt es nicht mehr. Das Medikament.

Ich lege Josef in sein Bett. Lasse die Schwester mit Josef allein. Gehe zum Hort. Hole Klara ab. Sie kommt gleich mit. Ich fühle mich immer noch matt. Dumpf. Wie durch Watte.

Zu Hause. Tee. Kakao. Kaffee. Kekse. Die Schwester verabschiedet sich. Ihren Namen habe ich vergessen. Wer war nochmal da, frage ich Uli? Alles verschwimmt. Gleitet ab. Lässt sich nicht zusammenhalten.

Josef wird wach. Seine Atmung. Zieht. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Er bekommt Medikamente. Wir wissen nicht mehr, wie was bei Josef wirkt. Ob es wirkt. Wissen es nicht mehr. An was sollen wir uns denn auch halten? An was orientieren? Wenn alles seine Bedeutung verliert. Eine neue bekommt. Oder nicht?

Ich halte Josef. Küsse ihn. Josef, mein Josef. Uli ruft das SAPV-Team an. Morgen kommen sie. Wollen auch Blut ziehen. Wegen dem Spiegel der Krampfmedikamente.

Wir essen Abendbrot. Brot. Käse. Wurst. Gurke. Tomate. Ich gebe Josef seinen Abendbrei. Tee. Medikament. Wir schauen zusammen fern. Im Schlafzimmer. In unserem Bett. Josef im Arm von Klara. Klara liest vor. Wir bringen sie in ihr Bett. Ich mache das Hörspiel an.

Wir gehen ins Wohnzimmer. Josef auf meiner Brust. Josef atmet ganz flach. Seine Kraft schwindet.

Es klingelt. Die Schwester. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 90. Sauerstoffsättigung 91. Wir gehen ins Bett. Schlaf.

Zuletzt aktualisiert am: 24.12.2019


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