, Zu Hause 2

Der Wecker klingelt. Es ist 7.00 Uhr. Die Katze liegt auf Ulis Sachen. Ich weiß, das gefällt ihm gar nicht. Die Tür klappert. Ich warte. Stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht.

Meine Erschöpfung. Immer noch in meinen Gliedern. In meinen Fasern. Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Gehe auf den Balkon. Kein Fuchs. Es ist schon warm. Heute wird es sehr warm.

Ich schließe die Balkontür. Gehe in Josefs Zimmer. Josef, mein Josef. Er schläft. Die Schwester steht bei ihm. Gibt ihm Tee. Medikamente. Durch den Bauchschlauch. Ich frage nach der Nacht. Josef schlief durch. Seine Vitalwerte waren sehr gut. Kein Fieber. Das Sekret lief gut.

Schlapp ist Josef noch. Sehr schlapp. Keine Krämpfe. Gut, sage ich. Gut. Einatmen und Ausatmen. Ich traue der Stabilität noch nicht. Traue ihr nicht. Wie lange wird sie anhalten? Diese entspannte Phase. Wie lange? Und was spielt es für eine Rolle? Welche Rolle spielt es? Wie lange?

Wir können uns nicht vorbereiten. Können nicht in Erwartungsangst erstarren. Verkrampfen. Innerlich und äußerlich. Einatmen und Ausatmen. Die Schwester räumt. Spült. Wechselt aus. Zieht auf. Verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.

Uli kommt. Wir trinken Kaffee. Sitzen bei Josef. Klara kommt zu uns. Fragt, ob sie fernsehen darf. Ja, sage ich. Ja. Uli deckt den Frühstückstisch. Wir frühstücken. Josef schläft. Dann wird er wach. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Es klingelt. Freunde. Freunde von weit her.

Gefragt haben sie. Können wir kommen? Ja, haben wir gesagt. Ja. Kommt. Wir halten Josef. Zusammen. Die Kinder verschwinden in Klaras Zimmer. Dann auf dem Spielplatz. Essen Eis. Trinken Brause. Wir halten Josef. Josef geht von Arm zu Arm. Wir plaudern. Lachen. Sind ernst.

Die Fenster bleiben verschlossen. Heiß wird es heute. Heiß. 38 Grad. Oder mehr. Zum Mittag gibt es Würstchen mit Kartoffelsalat. Danach eine Eistorte. Es tut mir gut. Uns gut. Freunde da zu haben. Zu lachen. Leben in der Wohnung. Josef von Arm zu Arm.

Die Katze springt in der Wohnung umher. Wird immer frecher. Eine kleine freche Katze. Wie sehr wünschte ich mir. Ach, Anne. Ach. Josef wird inhaliert. Abgesaugt. Bekommt Medikamente. Tee. Wird gelagert. Schlummert. Die meiste Zeit.

Am Abend fahren sie. Umarmungen. Zuspruch. Verabredung für den September. Dann werden wir sie besuchen. Josef wird dann im Kinderhospiz sein. Wenn ein Platz frei ist. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Für die Nacht. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab.

Wir schauen fern. Zusammen mit Klara. Josef liegt auf mir. Ganz entspannt. Wir atmen. Einatmen und Ausatmen. Der Tag war schön. Ein besonderer Tag. Für uns.

Josef, mein Josef. Und doch fühle ich, wie Josef sich verändert hat. Gewandelt hat. Nach dem letzten Wochenende. Nach dem Wochenende mit dem Tod bei uns. Ganz dicht war er. Der Tod. Saß neben uns. Ganz dicht. War spürbar. Irgendwie.

Und ich. Ich hatte ihn nicht kommen sehen. So schnell. Habe gesagt, nein. Ich habe ihn nicht wahrgenommen. Und doch. Er war da. Ganz dicht. Hat wieder Abstand genommen. Der Tod. Ist etwas weggerückt. Und doch dichter als davor. Vor diesem Wochenende.

Ich weiß. Wie sehr wir uns auch anstrengen. Aufmerksam sind. Was wir auch machen werden. Wir können ihn nicht wegschicken. Verhindern. Auch wenn wir unsere Augen verschließen. Einladen müssen wir ihn. Den Tod. Das Sterben. Beobachten, was das Sterben mit Josef macht. Mit uns macht. Fühlen, was Josef braucht. Was wir brauchen.

Aufhören. Angst zu haben. Vor dem Sterben. Und doch ist sie da. Weil alle sagen, jeder hat Angst vor dem Tod. Vor dem Sterben. Ist das so? Ist das wirklich so? Oder ist das nur die Vorstellung davon? Die Vorstellung, vor dem Sterben Angst zu haben? Weil es ohne Angst nicht vorstellbar ist? Doch. Wer sagt uns das? Wer? Einatmen und Ausatmen.

Ich spüre das Sterben. Fürchte mich nicht mehr so. Bin erschöpft. Müde. Traurig. Glücklich. Um die Stunden. Mit Josef. Die gemeinsamen Stunden. Mit Freunden. Um die Spaziergänge. Mit Josef.

Uli bringt Klara in unser Bett. Liest ihr vor. Macht das Hörspiel an. Ich höre sie lachen. Klara ist glücklich. Das ist schön. Wie kann das gehen? Letzte Woche der Tod. Diese Woche das Glück. Das geht, denke ich. Das geht. Ich lerne von dir, mein Josef. Ich lerne von dir, meine Klara.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 120. Sauerstoffsättigung 94. Wir gehen ins Bett. Schlafen.

Zuletzt aktualisiert am: 29.06.2021


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