, Zu Hause 1

Der Wecker klingelt um 5.30 Uhr. Ich pumpe Milch ab. Es ist bedeckt heute. Ein bedeckter Maitag. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Gehe ins Wohnzimmer. Die Schwester sitzt am Bett von Josef. Er schläft noch. Sie gibt ihm gerade seine Medikamente über die Nasensonde.

Ich gehe in die Küche. Stelle die leeren Milchflaschen in den Geschirrspüler und die vollen in den Kühlschrank. Einatmen und Ausatmen. Ich setze Wasser auf. Für den Tee und Kaffee. Decke den Frühstückstisch. Klara kommt. Brot möchte sie heute. Mit Nutella. Gut, sage ich. Weil heute Freitag ist. Sie ist müde. Uli kommt. Müde ist auch er.

Ich gehe ins Wohnzimmer. Die Schwester inhaliert Josef. Dabei wird er wach. Seine Atmung klingt ganz angestrengt. Sie nimmt ihn aus seinem Bett. Saugt ihn ab. Ganz vorsichtig. Sie macht es gut. Ich nehme Josef. Küsse ihn. Fast heimlich. Mir ist es unangenehm, vor der Schwester so zärtlich mit Josef zu sein. Zu intim.

Ich frage nach der Nacht. Josef hat durchgeschlafen, sagt sie. Herzfrequenz: 125. Sauerstoffsättigung: 94. Temperatur: 37,1. Gut, sage ich.

Dann spült sie die Inhalette aus. Klara geht los. Los in die Schule. Uli winkt ihr nach. Bis er sie nicht mehr sieht. Dann geht Uli. Die Schwester auch.

Josef und ich. Wir sind allein. Ich küsse Josef. Ausgiebig. Halte ihn. Spüre seine Wärme. Ich ziehe ihn vorsichtig um. Ganz vorsichtig. Damit die Nasensonde nicht rausrutscht. Ich lasse mir Zeit heute. Bin ganz bei Josef. Halte Zwiesprache mit meinem Josef. Manchmal zerreißt es mich. Das Im-Hier-und-Jetzt-sein. Gleichzeitig gibt es das Morgen. An Morgen müssen wir auch denken, mein Josef. Und wissen nicht, wie viele Morgen wir noch haben.

Einatmen und Ausatmen. Ich setze mich mit Josef auf unser Sofa. Gebe ihm langsam seine Morgenmilch. Lasse sie durch seinen Nasenschlauch fließen. Ganz bedacht und langsam. Keine Luftblase darf eingeschlossen sein.

Um 9.00 Uhr klingelt es. Unsere Haushaltshilfe. Sie bringt Energie mit. Öffnet die Fenster. Sagt, ich weiß schon was ich für euch koche. Sie läßt sich Geld von mir für den Einkauf geben und ist wieder verschwunden.

Um 10.00 Uhr klingelt es. Die Schwester. Ich erzähle von der Nacht. Ruhig war sie, die Nacht. Zur Zeit ist es ruhig um uns, sage ich. Die Schwester bereitet die Inhalette vor.

Ich gebe ihr Josef zum Inhalieren. Zeige ihr wieder, wie sie ihn halten soll. Es fällt ihr immer noch sichtlich schwer, sich auf Josef einzulassen. Einatmen und Ausatmen.

Es klingelt. Unsere Haushaltshilfe. Sie kocht in der Küche. Wirbelt durch die Wohnung. Saugt und wischt. Ich komme mir fehl am Platz vor. Gleichzeitig bin ich dankbar. Die Schwester und unsere Haushaltshilfe plaudern. Sie verstehen sich. Josef im Arm der Schwester. Ich komme mir vor wie ein Zuschauer. Irgendwie fremd. Josef schlummert immer wieder ein. Ich pumpe Milch ab. Im Schlafzimmer. Bin allein. Höre beide plaudern. Josef im Arm der Schwester. Ich im Schlafzimmer.

Werde ich mich daran gewöhnen? An so viele Menschen? In meiner Wohnung? Josef in so vielen fremden Armen? Ich gehe wieder ins Wohnzimmer. Josef schläft noch nicht. Die Schwester schuckelt. Ich sage, bitte nicht schuckeln. Sie entschuldigt sich. Sie hat es vergessen. Schon gut, sage ich. Ich nehme Josef.

Josef schläft ein. Ich lege ihn ins Bett. Unsere Haushaltshilfe verabschiedet sich. Sie hat Spargel gekocht. Pellkartoffeln auch. Danke, sage ich. Und ein schönes Wochenende wünsche ich ihr. Die Schwester bereitet die Inhalette vor. Inhaliert Josef. Stellt fest, das NaCl ist fast verbraucht. Ich rufe in der Apotheke an. Dann bei der Kinderärztin. Das Rezept steckt sie uns in den Briefkasten. Danke, sage ich.

Dann gehe ich los. Klara abholen. Heute suche ich sie. Sie möchte noch spielen, sagt sie. Kommt dann doch mit. Wir gehen vorn entlang. An der Straße. Den kürzeren Weg. Sie hüpft und springt. Ich hoffe, sie wird nie mit dem Hüpfen und Springen aufhören. Hoffe, dass sie sich die Leichtigkeit bewahren wird.

Zu Hause trinken wir Kakao und Tee. Essen Kekse. Josef wird wieder wach. Die Schwester inhaliert ihn. Ich sauge ihn ab. Dann küsse ich meinen Josef. Nehme ihn mit in Klaras Zimmer. Die Schwester sagt, es ist für sie in Ordnung. Sie versteht es. Ich glaube ihr.

Uli kommt nach Hause. Sagt, ich bin froh. Nun haben wir Wochenende. Die Schwester verabschiedet sich. Zum Abendbrot essen wir den Spargel. Klara isst Brot. Josef bekommt seine Abendmilch. Zusammen schauen wir Kinderfernsehen. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Ich bringe Klara ins Bett. Lese ihr vor. Mache ihr das Hörspiel an. Sie schläft bei uns. Es ist ja Wochenende. Josef schläft auf Uli. Bauch an Bauch. Das ist so schön.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Nachtschwester. Uli legt den schlafenden Josef in sein Bett. Um 3.00 Uhr pumpe ich Milch ab. Gehe ins Wohnzimmer. Josef schläft. Alles gut? Ja, sagt die Schwester. Gehe in die Küche. Stelle die Milch in den Kühlschrank. Gehe ins Bett. Schlafe.

Zuletzt aktualisiert am: 29.04.2020


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