Letzte Tage im Kinderhospiz. Mit den Krisen lernen. Kraft sammeln. Für zu Hause. Mit Klara schwimmen. Im Kinderhospiz. Klinikclowns. Grillen im Garten.
30.04.2018
Von der Selbstverständlichkeit des Lebens mit Schläuchen, Spritzen, piepsenden Geräten, rasselnden Inhaletten und rauschenden Absaugen.
01.05.2018
Das Leben geht ja weiter. Dort draußen. Will gelebt werden, das Leben. Auch außerhalb des Kinderhospizes.
02.05.2018
Ich lasse die Milch langsam durch Josefs Nasenschlauch in seinen Magen fließen. Ganz vorsichtig und langsam. Wir sind gut eingespielt. Mein Josef und ich.
03.05.2018
Josef wird wach. Ich nehme ihn in meinen Arm. Spüre seine Atmung. Seine meeresrauschende Atmung. Halte ihn. Lege meine Hand auf seinen Kopf. Ich packe ihn ganz warm in die Decke.
04.05.2018
Ich berühre ihre Hand, spreche kurze Worte. Hallo. Schön. Dass. Du da bist. Dass ich dich kennen darf.
05.05.2018
Einatmen und Ausatmen. Die Ärztin bleibt noch eine Weile bei uns. Bleibt bei uns. Hält aus. Mit uns. Dann geht sie. Lässt uns allein.
06.05.2018
Josef ist entspannt. Mein Josef ist entspannt. Wir stehen an Josefs Bett. Dann sagt die Schwester. Sie wird nur heute und morgen kommen. Sie ist krank. Es tut ihr leid.
07.05.2018
Ich spüre meine Anstrengung. Das Gefühl, erst einmal geben zu müssen. Der Pflegekraft so viel geben zu müssen. Ich frage mich nur, woher nehmen. Woher nur nehmen.
08.05.2018
Fremde Menschen sitzen am Bett unseres Sohnes. In unserer Wohnung. Und plötzlich sind sie wieder weg. Verschwunden. Erst so dicht und dann sind sie verschwunden.
09.05.2018
Klara schläft heute bei uns. Ich bringe sie ins Bett. Lese ihr vor. Halte sie im Arm. Meine Klara. Auch noch so klein und doch so groß. Ich mache ihr das Hörspiel an.
10.05.2018
Ich halte Josef in meinem Arm bis er eingeschlafen ist. Möchte ihn heute nicht hergeben. Dann lege ich ihn in sein Bett. Schalte den Monitor ein. Herzfrequenz bei 127 und Sauerstoffsättigung bei 97.
11.05.2018
Ja, sagt sie. Wischt sich mit ihrem Handtuch den Schweiß von der Stirn. Plötzlich tut sie mir leid. ... Die Schwester tut mir leid, weil sie bei uns arbeitet.
12.05.2018
Beide wirken so, als würden sie sich schon lange kennen. Ich fühle mich leichter. Es ist schön. Wir plaudern. Lachen. Gleichzeitig ist sie ganz bei Josef.
13.05.2018
Klara hält sich an mir fest. Und ich mich an ihr. In mir zerfällt wieder das Gefühl von Normalität. Plötzlich kann wieder alles anders sein.
14.05.2018
Josef auf mir. Atmen. Einatmen und Ausatmen. 21.30 Uhr, es klingelt. Nachtschwester. Josef ins Bett legen. Schlafen. 3.00 Uhr Milch abpumpen. Wohnzimmer. Josef schläft. Temperatur: 37,5. Milch. Kühlschrank. Bett. Schlaf.
15.05.2018
Es war ruhig heute, sage ich. Gut, sagt Uli. Woran wir uns schon gewöhnt haben, sage ich auch. Heute waren nur drei Menschen hier und ich sage, es war ruhig. Wir müssen lachen.
16.05.2018
Manchmal zerreißt es mich. Das Im-Hier-und-Jetzt-sein. Gleichzeitig gibt es das Morgen. An Morgen müssen wir auch denken, mein Josef. Und wissen nicht, wie viele Morgen wir noch haben.
17.05.2018
Auf die Frage, wie es geht, weiß ich doch momentan keine Antwort. Darf ich sagen, heute geht es mir gut? Oder darf ich es nicht, weil es mir nicht gut gehen darf, mit einem schwerstkranken Josef?
18.05.2018
Würde die Nasensonde nicht sein, könnte man denken - nicht mehr denken, denke ich. Nicht mehr denken, man könnte denken, Josef ist gesund.
19.05.2018
Die Schwester legt ihm eine neue Nasensonde. Ganz bedacht und behutsam. Sie hat keine Scheu. Ich denke, welch ein Glück, dass sie es so gut kann. Das Nasensonde-Legen.
20.05.2018
Ich bin sehr müde heute. Müde. Müde. Müde. Ich gehe ins Wohnzimmer. Die Schwester sitzt auf dem Sofa. Josef schlummert.
21.05.2018
Dann zeigt der Rehatechniker uns auf einem Bild den Therapiestuhl. Den er bestellen wird. Eine Badeliege bestellt er auch. In der Farbe Blau. Das Polster für den Kinderwagen soll die Farbe Grün haben.
22.05.2018
Vielleicht wird doch alles gut, denke ich. Vielleicht bleibt es so? Ich schlafe ein.
23.05.2018
Am Nachmittag holen wir zusammen mit Josef Klara ab. Ganz mutig sind wir heute. Ich trage Josef im Tuch. Die Schwester trägt die Absauge und den Ambubeutel. Notfallmedikamente sind auch dabei. Man weiß ja nie, sagt sie.
24.05.2018
Aus dem Wohnzimmer höre ich die Inhalette rauschen. Ich gehe zu Josef. Streiche über seinen Kopf. So schön ist er. Mein Josef. So schön geformt sein Kopf. Ich küsse ihn.
25.05.2018
Ich wollte Josef doch nur was Gutes tun, sagt die Schwester. Mh, sage ich. Ein verständnisvolles „Ich weiß“ kommt mir heute nicht über die Lippen.
26.05.2018
Danke, sage ich. Danke. Mir als Mutter wird ja manchmal nicht geglaubt. Ich lächle. Ich zwinkere der Schwester zu. Meine es aber sehr ernst.
27.05.2018
Wir fragen nach Fragen. Keine Fragen. Ah, denke ich. Dann besprechen die Schwestern die Urlaubsplanung...Sie sprechen sehr lange darüber. Mein Gefühl ist, eigentlich geht es nur darum. Um den Urlaubsplan.
28.05.2018
Ich habe immer noch Scheu davor meinem Josef diesen Katheter in die Nase zu schieben. Daran muss ich mich noch gewöhnen. Immer noch gewöhnen.
29.05.2018
Josef atmet besser. Ich küsse ihn. Sage immer wieder zu ihm, ich bin da. Mein Bär. Ich bin da. Die Schwester bereitet die Inhalette vor. Ich inhaliere Josef. Er ist angespannt. Herzfrequenz 173. Sauerstoffsättigung 94. Fast wäre er erstickt.