, Zu Hause 1

Der Wecker klingelt um 6.00 Uhr. Die Sonne scheint noch nicht. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Gehe ins Wohnzimmer. Josef liegt auf dem Sofa. Ganz eingekuschelt. Unter seinem Bauch liegt ein Kissen. Sei Kopf ist zur Seite gedreht. Seine Augen sind geschlossen. Seine Atmung rauscht. Herzfrequenz 122. Sauerstoffsättigung 96.

Die Schwester inhaliert ihn. Eine Meeresbrise für Josef, denke ich. Ich gehe in die Küche. Setze Wasser auf. Für Tee und Kaffee. Gehe wieder ins Wohnzimmer.

Frage nach der Nacht. Gegen Mitternacht hatte Josef sehr hohe Herzfrequenzen. Sie hat ihm Novalgintropfen gegeben, weil sie den Eindruck hatte, er hat Schmerzen. Danach schlief er auf dem Sofa ein. Sie hat das Gefühl, Josef braucht zur Zeit viel Körperkontakt.

Heute Morgen hatte er viel zähes und gelbes Sekret. Temperatur 37,6. Krampfanzeichen hat sie nicht beobachtet. Gut, sage ich. Ich setze mich zu Josef. Die Schwester spült die Inhalette aus. Verabschiedet sich. Schlaf gut, sage ich.

Uli kommt mit Kaffee zu uns. Wir sitzen beisammen. Josef schläft. Es sieht sehr gemütlich aus. Wie er neben mir auf dem Sofa liegt. Uli verwandelt das Schlafzimmer in ein Arbeitszimmer. Arbeitet. Wie er das nur macht? Das Arbeiten. Die Tür steht offen. Falls was ist. Die Sonne schiebt sich durch die Wolken. Das ist schön.

Ich sitze mit Josef auf dem Sofa. Die Zahlen auf dem Monitor springen hin und her. Ich schalte den Monitor aus. Mit einem lauten Piepen schaltet sich der Monitor ab. Josef reagiert nicht auf das Piepen. Hat er sich daran gewöhnt? An das Piepen? Und an das Rauschen der Inhalette? Oder kann er wirklich nicht hören?

Aber auf der Obstwiese, da hat er doch reagiert, denke ich. Wer weiß, was er alles spürt und mitbekommt. Wie gern würde ich es wissen wollen. Wie gern.

Josef wird langsam wach. Öffnet seine Augen. Sein Kopf geht wieder nach vorn. Seine Arme auch. Ich nehme ihn auf meinen Arm. Ganz vorsichtig. Es hört auf. Das Zucken hört auf. Es war auch nur ganz sacht. Das Sekret läuft. Ich brauche nicht zu inhalieren, denke ich.

Ich küsse Josef. Streichle seinen schönen Kopf. Mit seinen schönen Locken. Klara hatte keine Locken, denke ich. Josef, mein Lockenprinz. Ich genieße es, ihn zu halten. Auf dem Sofa zu sitzen. Ihn zu halten. Die Sonne schiebt sich durch die Wolken. Welch ein Glück. Dass du da bist, mein Bär.

Dann ziehe ich Josef vorsichtig um. Ganz vorsichtig, damit die Nasensonde nicht rausrutscht. Uli kommt zu uns. Streicht mir über den Rücken. Begrüßt Josef. Sagt, guten Morgen Josef. Dann verschwindet er wieder im Arbeitszimmer. Schließt die Tür.

Um 10.00 Uhr klingelt es. Die Schwester. Ich gebe Josef seinen Morgenbrei. Dabei schläft er ein. Schlummert. Ich lege ihn vorsichtig in sein Bett.

Die Schwester sitzt bei ihm auf dem Sofa. Ich mache mir in der Wohnung zu schaffen. Wäsche waschen. Aufhängen. Dinge hin und her sortieren. Mein Inneres sortieren. Ich suche Unterlagen zusammen. Müsste lernen. Im September habe ich eine Zwischenprüfung.

Josef wird wach. Ich höre die Schwester mit Josef sprechen. Ganz selbstverständlich spricht sie mit ihm. Sagt, ich nehme dich jetzt aus dem Bett. Jetzt inhaliere ich dich. Sie ist ganz bei Josef. Fast laufen mir Tränen vor Rührung.

Dann ruft sie mich. Josef liegt auf ihrem Schoß. Der Kopf geht wieder nach vorne. Seine Arme auch. Ich zeige ihr, welchen Punkte sie bei Josef sacht drücken muss. Zwischen den Augen und unter der Nase. Es hört auf. Danke, sagt sie. Danke, dass du es mir gezeigt hast. Bitte, sage ich. Bin ganz erstaunt, dass sie sich bedankt bei mir. Freue mich auch. Freue mich, dass sie mich ernst nimmt. Als Mutter.

Ich gebe Josef seinen Mittagsbrei. Messe seine Temperatur. 37,9. Ich rufe das SAPV-Team an. Eine Palliativschwester ist am Telefon. Ich sage, latent hat Josef immer noch Temperatur. Das Sekret ist gelb und zäh. Sie wird mit der Ärztin sprechen. Morgen telefonieren wir noch einmal. Falls sich Josef verschlechtert, sollen wir anrufen. Ja, sage ich.

Josef schlummert wieder. Er findet nicht richtig in den Schlaf. Am Nachmittag beginnt er wieder leicht zu krampfen. Hört dann wieder auf.

Uli macht Feierabend. Wir verabschieden die Schwester. Josef in meinem Arm. Ich lege meine Hand auf seinen Brustkorb. Spüre, wie er atmet. Spüre das viele Sekret in seiner Lunge. Ich lege ihn mir über die Knie. Damit das Sekret rauslaufen kann. Er schlummert immer wieder ein, mein Josef.

Zum Abendbrot essen wir das restliche Frikassee mit Brot. Wir schauen fern. Uli ruft seine Eltern an. Spricht mit Klara. Ich darf sie auch sprechen. Sie erzählt von einer Katze. Die kommt sie in der Ferienwohnung immer besuchen. Das ist schön, meine Sonne. Durch das Telefon schicken wir uns Küsse und Umarmungen.

Josef lege ich in sein Bett. Herzfrequenz 146. Sauerstoffsättigung 94. Temperatur 37,8. Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Wir gehen ins Bett. Schlafen unruhig.

Zuletzt aktualisiert am: 29.07.2020


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