, Kinderhospiz

Um 7.00 Uhr klingelt der Wecker. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Gehe in die Wohnküche. Josef ist wach. Ich höre ihn. Höre sein lautes Atmen. Ich gehe in sein Zimmer. Er liegt im Arm der Schwester. Er ist ganz eingekuschelt.

Guten Morgen, sage ich. Guten Morgen. Ich streichele Josefs Kopf. Küsse ihn. Frage nach der Nacht. Um 4.00 Uhr war Josef plötzlich aus dem Schlaf heraus obstruktiv, sagt sie. Inhaliert wurde Josef und abgesaugt. Er schlief dann wieder ein. Nun ist er seit 7.00 Uhr wach. Kein Fieber. Keine schwankenden Herzfrequenzen. Keine Krämpfe.

Gut, sage ich. Gut. Ich küsse Josef. Gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee und Kaffee. Die Sonne scheint. Ich freue mich darüber. Gleichzeitig schleicht sich das schlechte Gewissen an. Einatmen und Ausatmen.

Es ist wichtig, denke ich. Wichtig, dass Klara und ich mit meinen Freundinnen verreisen. Für vier Tage. Drei Nächte. Josef wird es gut haben im Kinderhospiz. Wird gut aufgehoben sein. Gehalten werden. Uli wird da sein. Es ist wichtig, denke ich. Für Klara. Für mich. Für uns.

Ich gehe in Josefs Zimmer. Nehme ihn in den Arm. Küsse ihn. Spüre seine Wärme. Sein Körper ist etwas angespannt. Die Schwester spült. Räumt. Wechselt aus. Zieht auf. Verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.

Uli kommt. Packt die Sachen für Josef zusammen. Monitor, Absaugen, Medikamente und Katheter. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Ganz vorsichtig. Küsse ihn immer wieder. Dann nehme ich Josef in den Arm. Wir sitzen eine ganz Weile so. Josef und ich. Im Zwiegespräch mit einander. Josef, mein Josef. Dürfen Klara und ich vier Tage wegfahren? Ans Meer? Wir würden dich so gern mitnehmen. Es geht aber nicht. Geht ja nicht. Wir bringen dir Meeresrauschen mit. Meeressand. Was sagst du dazu?

Josef atmet ganz gleichmäßig. Einatmen und Ausatmen. Ich spüre. Wir dürfen. Wir dürfen fahren. Klara kommt. Setzt sich zu uns. Fragt, wie es Josef geht. Okay, sage ich. Wir können fahren. Sie küsst ihren Bruder. Zum Dank.

Klara zieht sich an. Uli nimmt Josef. Ich packe die restlichen Sachen von Josef. Bodys. Shirts. Hosen. Stillkissen. Schlafschaf. Getragene Unterhemden von mir. Für die Nächte, mein Josef. Für die Nächte. Ein getragenes Unterhemd von mir liegt jede Nacht bei Josef. Damit er mich riecht. Das kann er. Riechen kann er, denken wir. Das fühlen wir.

Wir gehen los. Ich trage Josef. Uli schiebt den Kinderwagen. Vollbeladen mit Absauge, Inhalette, Monitor, Kathetern, Kissen und Sachen. Den Therapiestuhl wird Uli später bringen.

Herzlich werden wir empfangen. Josef bekommt ein anderes Zimmer. Im zweiten Stock. Die zweite Tür von rechts. Es hat bodentiefe Fenster. Gemütlich ist es. Uli sortiert die Sachen. Der Pfleger kommt zu uns. Wir lachen miteinander. Er nimmt die Daten auf. Viel verändert hat sich nicht. Josef ist bekannt.

Es fühlt sich sehr vertraut an. Vertraut und sicher. Ein Gefühl von Sicherheit. Hier ist Josef sicher. Hier haben sie keine Angst vor dem, was Josef zeigt. Sind nicht erschrocken. Nehmen Josef in seinem So-Sein an. Dennoch schmerzt es. Josef hier zu lassen und zu fahren. In den Urlaub zu fahren. Einatmen und Ausatmen.

Josef hat mir zu spüren gegeben, ich darf fahren. Wir dürfen fahren. Jetzt muss ich es mir erlauben. Unsere Freunde kommen. Wir packen unsere Sachen in das Auto. Verabschieden uns. Von Josef. Von Uli. Fahren los.

Irgendwann kommen wir an. Es ist eine schöne und große Wohnung. Wir packen die Sachen aus. Klara und ich teilen uns ein Bett. Es ist ungewohnt, ganz frei über die Zeit zu verfügen. Nicht immer daran denken zu müssen. Inhalation. Absaugen. Tee. Medikamente. Therapeuten. Krankenschwestern. Medikamente. Tee. Herzfrequenz. Sauerstoffsättigung. Temperatur. Es fühlt sich fast unwirklich an. Hier mit Klara zu sein. Wie in einer anderen Zeit. In einem anderen Leben.

Am Nachmittag gehen wir an die Ostsee. Meeresrauschen. Mir laufen Tränen. Ich höre Josef aus dem Meeresrauschen. Seine Atmung klingt genauso. Einatmen und Ausatmen.

Am Abend. Wir kochen zusammen. Essen. Lachen. Trinken Sekt. Ich rufe Uli an. Alles gut, sagt Uli. Alles gut. Josef schläft schon. Im Kinderhospiz. Und wie fühlst du dich, frage ich. Allein. Es ist ungewohnt. Allein zu sein. Unwirklich.

Ich weiß, sage ich. Ich weiß. Unwirklich. Unwirklich, was für andere Menschen Normalität ist. Und unsere Normalität mit Josef ist für die meisten Menschen unwirklich. Nicht vorstellbar. Wir umarmen uns durchs Telefon. Schlaf gut. Schlaf gut.

Zuletzt aktualisiert am: 29.03.2021


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