, Zu Hause 2

Es klopft an der Tür. Ich bin hellwach. Uli. Auch. Ich gehe zur Tür. Die Schwester. Sagt, Josef zuckt. Krampft. Seine Vitalwerte sind im Normbereich. Seine Augen sind weit auf.

Wir gehen in sein Zimmer. Josef zuckt. Linksseitig. Seine Augen schauen ins Leere. Ich nehme ihn aus seinem Bett. Halte ihn. Küsse ihn. Drücke die Punkte. Zwischen seinen Augen. Unter seiner Nase. Kugel ihn. Nichts hilft.

Uli holt das Notfallmedikament. Draußen. Fängt es an zu gewittern. Nach 10 Minuten fällt Josef auf meinem Arm zusammen. Er hat keine Körperspannung mehr. Kein Zucken. Er schläft. Oder?

Wo bist du, mein Josef? Wo? Mir laufen Tränen. Leise Tränen. Ich lege Josef vorsichtig in sein Bett. Herzfrequenz 90. Sauerstoffsättigung 96. Wir bleiben noch. Reden. Leise. Mit der Schwester. Dann gehen wir ins Bett. Schlaf. Irgendwann.

Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker. Ich schalte ihn aus. Die Tür klappert. Ich warte. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Ich fühle mich schmerzhaft taub.

Gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Decke den Frühstückstisch. Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Ich küsse sie auf ihren Kopf. Uli setzt sich zu ihr. Ich. Ich gehe in Josefs Zimmer.

Josef, mein Josef. Die Schwester hält ihn in ihrem Arm. Er zuckt wieder. Am ganzen Körper. Ich nehme ihn. Küsse. Weiß, sie helfen nicht. Kann es nicht lassen. Das Küssen. Das Hoffen. Kann es einfach nicht lassen.

Uli kommt. Holt das Notfallmedikament. Ohne Worte. Gibt es ihm. Ich halte Josef. Nach 10 Minuten fällt er in sich zusammen. Als wäre er tot. Ohne Körperspannung. Einatmen und Ausatmen.

Klara geht los. Los in die Schule. Ich winke ihr. Bis ich sie nicht mehr sehe. Die Schwester räumt. Spült. Wechselt aus. Zieht auf. Schlaf gut. Danke.

Ich lege Josef in sein Bett. Inhaliere ihn. Uli saugt ihn im Schlaf ab.

Es klingelt. Die Schwester. Ich sage, sie soll mich rufen, wenn Josef wach wird. Lasse sie mit Josef allein. Uli und ich. Wir sitzen in der Wohnküche. Reden. Leise. Über die neuen Krampfmuster. Was tun? Können wir was tun? Oder gehört es zum Sterben?

Ein sterbender Mensch kann nicht aufgehalten werden. Das verstehe ich. Verstehe ich irgendwie. Durchspüre es. Mir laufen Tränen. Uli hält meine Hand.

Nächste Woche haben wir einen Termin. Im SPZ. Dort werden wir darüber sprechen. Über die neuen Krämpfe. Über. Einatmen und Ausatmen.

Die Schwester ruft mich. Ich gehe zu Josef. Er ist wach. Ganz wach. Angespannt. Ich nehme ihn aus seinem Bett. Küsse ihn. Die Schwester inhaliert ihn. Saugt ihn ab. Es kommt viel, viel Sekret. Weißlich. Flüssig. Sie lagert Josef über ihre Knie. Er entspannt sich etwas.

Ich gebe Josef seinen Morgenbrei. Tee. Medikamente. Es klingelt. Die Physiotherapeutin. Sie ist heute ruhiger. Wirkt nicht so gehetzt. Sie dreht und wendet Josef. Er schläft ein. Sie legt ihn in sein Bett. Dann reden wir. Ein wenig. Sie ist zugewandt heute. Das ist schön. Tut mir gut. Sie verabschiedet sich.

Ein Brief kommt. Vom Jugendamt. Der Ablehnungsbescheid. Ich schreibe einen Widerspruch. Gehe zur Post. Stecke den Brief ein. Hoffe auf nichts. Hole Klara ab. Vom Hort. Sie möchte noch etwas mit ihrer Freundin spielen. Nachher auf dem Spielplatz. Gut, sage ich. Gut.

Zu Hause. Tee. Limo. Eis. Josef ist wieder wach. Angespannt ist er. Wo bist du gerade, Josef? Wo? Ich halte ihn. Tee. Medikamente. Brei. Klara entdeckt ihre Freundin auf dem Spielplatz. Von unserer Wohnung aus können wir den Spielplatz einsehen. Sie geht zu ihr.

Die Mutter winkt uns. Ich weiß, es heißt sie passt auf. Auf Klara. Uli, Josef und ich. Wir gehen eine Runde spazieren. Eine Gartenrunde. Die Luft ist schön. Es ist etwas kühler nach dem Gewitter. Auf dem Rückweg holen wir Klara ab. Vom Spielplatz. Wir reden mit der Mutter. Es ist sehr angenehm. Sie ist zurückhaltend und gleichzeitig offen.

Zu Hause. Es gibt Brot. Tomate. Mozzarella. Josef bekommt Tee. Brei. Medikamente. Ich halte ihn. Heute ist er angespannt. Streckt sich. Als gäbe es kein Dazwischen mehr. Nur noch die Extreme.

Wir schauen Kinderfernsehen. Josef liegt auf meiner Brust. Entspannt sich langsam. Mit jedem Atemzug. Wir atmen zusammen. Das ist schön. Und doch spüre ich eine Veränderung. Ich habe das Gefühl, Josef ist nicht mehr ganz bei uns. Nicht mehr ganz nah. Ist schon.

Uli bringt Klara ins Bett. Liest ihr vor. Macht das Hörspiel an. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 110. Sauerstoffsättigung 97.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Wir gehen ins Bett. Schlafen. Irgendwann.

Zuletzt aktualisiert am: 29.06.2021


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