, Krankenhaus

Es ist noch sehr dunkel draußen. Kälter ist es heute. Eisblumen am Küchenfenster. Wann habe ich so etwas zum letzten Mal gesehen?

Ich rufe gleich in der Klinik an. Guten Morgen, Josefs Mama am Telefon. Wie geht es ihm? Wie war die Nacht? Gut geht es Josef. Er hat nur wenig geschlafen. Nun schläft er. Sie brauchen sich nicht beeilen. Josef schläft. Gut. Wir kommen. Gegen 9.00 Uhr sind wir da.

Ich pumpe Milch ab. Dann frühstücken wir. Klara bringen wir in die Schule. Sie geht allein durch das Tor. Sie trifft ein anders Mädchen. Aus ihrer Klasse? Zusammen laufen sie in die Schule. Ich freue mich für sie. Eine Freundin. Vielleicht.

Wir fahren durch den Berufsverkehr. Es ist zäh, aber wir kommen ganz gut voran. Mein Telefon klingelt während der Fahrt. Ich gehe ran. Die Beratungsstelle ist am Apparat. Ob ich den Antrag für Familienhilfe gestellt habe. Und wie es uns geht nach dem Tod unseres Kindes.

Nein, habe ich nicht. Unser Sohn lebt und kommt nach Hause. Ach so. Dann sind wir nicht zuständig. Alles Gute, sagt sie. Oder nicht? Ich bin etwas verwirrt und wütend. Komisch.

Wir finden heute in der Nähe der Klinik einen Parkplatz und laufen nicht so lange. Durch die Notaufnahme durch gehen wir die Treppe rauf. Klingeln. Gehen durch die Schleuse. Den Gang runter. Dann rechts. Wir schließen unsere Sachen ein, desinfizieren unsere Hände.

Ich stelle die Milch in den Kühlschrank. An den beiden Inkubatoren vorbei gehen wir in Josefs Zimmer. Er schläft. Unser Bär schläft.

Die Ärztin ist da. Ich frage sie, ob sie Zeit für uns hat. Nachher vielleicht. Fragen habe ich. Zu Josef. Den Befunden. Können Sie es uns ein bisschen erklären? Ja, sagt sie. Sehr gern. Nachher. Ich komme zu Ihnen. Danke.

Der Stationsarzt kommt zu uns. Er möchte mit uns die Patientenverfügung von Josef besprechen. Wann es passen würde? Nachher. Vielleicht. Am Nachmittag. Ja. Gut. Wir sitzen bei Josef. Schauen zu, wie er atmet. Ganz leise. Er sieht aus, als wäre er gesund. Wenn er nicht die Nasensonde hätte. Ist er aber nicht. Er ist nicht gesund.

Die Elternberatung kommt zu uns. Sie sagt, die Heilmittel sind bestellt worden. Morgen kommt der Vertreter und bringt den Monitor und die Absaugen. So gegen 14.00 Uhr. Ob wir dann da sein können? Ja. Natürlich. Wir werden da sein. Danke.

Josef wird langsam wach. Guten Morgen, lieber Josef. Seine Atmung wird deutlich lauter. Ich glaube, er muss abgesaugt werden. Ich klingle nach der Schwester. Uli bereitet die Absauge vor.

Die Schwester kommt und schaut zu, wie Uli seinen Sohn absaugt. Gut macht er das, sagt sie. Das nächste Mal brauche sie nicht dabei sein. Außer wir wünschen es uns.

Ich ziehe Josef vorsichtig um. Mache seine Windeln, messe seine Temperatur. Uli legt mir Josef auf den Schoß, und ich fange langsam an, Josef zu sondieren. Frühstück, lieber Josef, Frühstück.

Die Ärztin kommt zu uns. Sie hat nun Zeit. Die Krankenakte bringt sie mit. Wir fragen und fragen. Wie ist das nun mit dem Gehirn von Josef? Sie zeigt uns auf den Röntgenbilder Flecken, die auf ein Absterben von Hirnarealen hinweisen.

Sie meint, die Areale werden sich mit Wasser füllen, wenn der Kopf und das restliche Gehirn wächst. Keiner kann sagen, was passieren wird. Vielleicht treten irgendwann Krampfanfälle auf. Wichtig ist zu schauen, was Josef klinisch zeigt. Josef hat keine Schutzreflexe. Kann nicht würgen, husten und schlucken. Blinzeln ist ihm auch nicht möglich.

Das bedeutet, wir müssen die Reflexe für ihn ersetzen. Ihn absaugen, lagern damit er nicht erstickt (immer seitlich, nicht auf dem Rücken) und ihm Augensalbe in die Augen machen. Damit sie nicht austrocknen.

Josef hat keine Mimik. Er hat eine beidseitige Gesichtslähmung. Was heißt das? Er kann den Mund nicht bewegen, nicht weinen, nicht lachen. Er hat auch keine Stimme. Kann nicht schreien, nicht jammern.

Er atmet. Ja atmen. Das kann er. Lange sitzen wir zusammen. Es schmerzt, zu hören. Doch ist es gut. Zu hören und ankommen zu lassen, was mit Josef ist. Danke, liebe Ärztin.

Am Nachmittag kommt der Stationsarzt. Wir besprechen die Patientenverfügung. "Aufgrund der Gesamtprognose und einer Abwägung von Belastung und Nutzen...zu der Auffassung gekommen, dass nur noch palliative Therapieziele verfolgt werden sollen..., um eine Linderung des Leidens zu erreichen." Was bedeutet das? Stirbt Josef? Lassen wir Josef jetzt im Stich?

Nein, sagt er. Wir können Josef nicht heilen. Sein Gehirn. Sie wissen. Ist abgestorben. Wir können nichts weiter tun. Ich weiß. Aber. Ja. Aber. Ja. Aber. Er kommt nach Hause. Ja. Er kommt nach Hause.

Lieber Josef, nach Hause fahren wir. Zu deiner Schwester. Schlaf gut! Das Gespräch wirkt nach und vor. Wir möchten, dass Josef nicht mehr beatmet wird. Möchten aber, dass er sich in seinen Möglichkeiten entwickeln darf. Ist das ein Widerspruch? Es tut weh. Irgendwie schmerzt da was.

Wir holen Klara vom Hort ab. Die Erzieher gehen mir aus dem Weg. Oder täusche ich mich?

Zu Hause machen wir den Rechner an. Josefkino. Bald, lieber Josef, bald bist du zu Hause.

Zuletzt aktualisiert am: 29.12.2019


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