Ganz nah, diese Krankheit. Nah. Erschöpft vom An-mich-halten. Der Vorsicht.

Es ist 7.20 Uhr. Jette liegt neben mir. Kam zu uns. In dieser Nacht. Seit einer Woche kommt sie zu uns. In unser Bett. Kuschelt sich an mich. In der Nacht. Ich bin müde. Noch müde. Oft müde. Wieder müde. Diese Müdigkeit. Erschöpfung. Durchhalten. Halten. Aushalten. An-mich-Halten. Es schmerzt. Mein Körper schmerzt.

Jette ist wach. Kuschelt sich an mich. Sagt. Mein Bauch hat Hunger. Gut, sage ich. Gut. Ich küsse sie. Setze mich. Jette krabbelt auf meinen Rücken. Ich nehme sie huckepack und gehe mit ihr in die Küche. Setze sie in den Sessel. Küsse. Noch einmal Küsse. Setze Wasser auf. Für Kaffee. Tee. Eine Mandarine für Jette.

Uli kommt. Setzt sich. Nachrichten. Wie jeden Morgen. Nachrichten. Steigende Zahlen. Zahlen. Steigende Zahlen. Dahinter Menschen. Kranke Menschen. Sterbende Menschen. Tränen. Tränen fließen. Die vielen Menschen.

Ich gehe auf den Balkon. Es ist kalt. Zu kalt für einen Frühlingsanfang, denke ich. Ich gehe wieder in die Küche. Kaffee. Tee. Wir sind still. Still miteinander. Jette möchte Drache Kokosnuss hören. Mit den Dinos, sagt sie. Gut, sagt Uli. Gut. Jette kuschelt sich auf das Sofa. Ich decke sie zu. Küsse. Küsse, meine Jette. Küsse. Uli macht ihr das Hörspiel an.

Steigende Zahlen. Kranke Menschen. Tote Menschen. Meine Haut ist dünn. Wird dünner. Aushalten. Schwer ist es gerade. Schwer. Wo ist die Trauer um diese Menschen? Wo ist sie? Finde sie nicht. Finde keine Räume dafür. Kein Glockenläuten. Kein Innehalten. Kein Besinnen. Wo ist die Trauer in unserer Gesellschaft? Die Betroffenheit? Das Auf-sich-zurückgeworfen-Sein? Wo?

Die vielen Menschen. Die gelebten Leben. Wo sind sie? Ist es die Unfähigkeit? Die Unfähigkeit, zu trauern? Zu betrauern? Einatmen und Ausatmen. Uli setzt Wasser auf.

Ein zweiter heißer Kaffee. Heiß muss er sein. Klara kommt. Hat gut geschlafen. Dennoch. Sie sieht müde aus. Müde. Erschöpft. Von. Von der Anstrengung. Vom An-sich-Halten. Von der Schule. Von der nicht gelebten Teenager-Zeit. Von.

Und doch. Doch keine Anklage. Wahrnehmen, wie es ist. Wie ist es gerade? Erschöpfend. Müdigkeit. Traurigkeit. So ist es gerade. Ich nehme sie in den Arm. Meine Klara. Sie ist ganz fest. Von der Anspannung. Legt ihren Kopf auf meine Schulter. Langsam entweicht ihre Anspannung.

Ich küsse sie. Es ist ihr unangenehm. Ich entschuldige mich. Schon gut, sagt Klara. Schon gut. Wir finden uns zurecht. An diesem Morgen. Wie jeden Morgen. Finden wir uns. Der Frühstückstisch wird gedeckt. Brötchen werden geholt. Kaffee. Tee. Einkaufszettel schreiben.

Ein Anruf. Meine Schwester. Können uns nicht sehen. Nicht zu einem Spaziergang treffen. Sind in Quarantäne. Ein Erzieher in der Kita. Ich hoffe, ihr bleibt gesund, sage ich. Ja, sagt sie. Ja. Bisher sind alle gesund. Gut, sage ich. Gut. Ganz nah. Ganz nah, diese Krankheit. Nah.

Erschöpft vom An-mich-halten. Der Vorsicht. Der Unsicherheit. Ungewissheit. Ganz dünn. Meine Haut. Undurchsichtig. Diese Zeit. Einatmen und Ausatmen. Erschöpft sein. Sich erlauben, erschöpft zu sein. Müde zu sein. Verzweifelt auch. Es sich erlauben.

Auch die Trauer. Trauer um die gestorbenen Menschen. Das Mitgefühl mit den erkrankten Menschen. Mitgefühl für uns. Es sich erlauben. All diese Gefühle. Damit wieder Platz ist. Platz für die Hoffnung. Die Hoffnung. Noch nicht zu wissen auf was genau.

Und doch die Hoffnung. Es wird sich ändern. Verändern. Bewegen. Hoffen darauf. Und weinen. Weinen um. Trauer um. Trauern um die Zeit. Klaras verlorene Teenager-Tage. Ohne Anklage. Ohne Forderungen. Annehmen. Seufzen. Hoffen. Trauern um die nicht zusammen verbrachte Zeit. Trauern um. Trauern und gleichzeitig. Gleichzeitig hoffen.

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