Ich schreibe meiner Freundin eine Nachricht. Ich denke an dich, schreibe ich.

Der Wecker klingelt. Ich brauche lange, um mich zu orientieren. Ich suche ihn. Den Wecker. Schalte ihn aus.

Jette wird wach. Wirft sich mit ihrem kleinen Körper auf mich. Ich küsse sie. Verkrieche mich in ihren Haaren. In ihren lockigen Haaren. Uli steht auf. Geht ins Bad.

Jette sagt: Heute ist ein schöner Tag. Ich drücke sie an mich. Ganz fest. Küsse sie und raufe mit ihr. Ich fühle mich ganz weich und beschenkt, von ihr. Jette, meine Jette. Und dann. Dann ist da auch die Traurigkeit. Josef. Josef, mein Josef.

Ich trage Jette auf meinem Rücken in die Wohnküche. Uli setzt Wasser auf. Für Kaffee und Tee. Klara kommt. Sie ist ganz müde. Zerzaust ist sie schon lange nicht mehr.

Klara und Jette frühstücken. Klara isst Cornflakes. Jette Joghurt mit Streuseln. Wir trinken Tee. Kaffee. Jette Apfelsaftschorle mit Strohhalm.

Das Radio läuft. Nachrichten. Zum Virus. Zu der Lage. Zu der Situation, die sich gefühlt stündlich ändert. Ich habe keine Angst. Die Angst. Wo ist sie nur? Hast du sie mitgenommen, mein Josef?

Klara fährt los. Los in die Schule. Ich winke ihr nicht mehr nach. Schon lange nicht mehr. Doch Luftküsse bekommt sie. Von Jette und mir.

Dann gehen auch wir los. Uli fährt zur Arbeit. Ich schiebe Jette mit dem Dreirad an der Stange in die Kita. Sie liebt es. Auf dem Weg treffen wir zwei Menschen. Sie stehen immer um diese Zeit an der Ecke und rauchen. Wir grüßen sie, wie alte Bekannte. Es hat etwas Vertrautes.

In der Kita. Ich helfe Jette beim Ausziehen. Gehe noch einmal mit ihr auf die Toilette. Dann. Dann ist sie verschwunden in der Kitawelt. Mit ihren Freundinnen und Freunden. Jette sieht mein Winken nicht. Ich winke für mich und die Erzieher.

Ich eile. Eile zum Bus. Fahre zur U-Bahn. In der U-Bahn versucht fast jeder Gast nichts mehr zu berühren.

Die U-Bahn hält. Alle warten bis der Andere den Türöffner bedient. Da ist die Angst. Da ist sie wohl. Die Angst der Anderen.

Ich steige aus. Gehe in die Klinik. Durch ein Tor. Auf der rechten Seite ist eine Station für die Menschen mit Virusverdacht. Die Stimmung ist ruhig. Eine schleichende Stimmung. Ruhig, schleichend und abwartend.

Ich gehe in mein Zimmer. Mein Arbeitszimmer. Es ist ruhig. Viel ruhiger als sonst.

Ich schreibe meiner Freundin eine Nachricht. Ich denke an dich, schreibe ich. Halte inne. Stelle mich ans Fenster. Die Sonne scheint. Es stürmt. Mir laufen Tränen.

Irgendwann gehe ich in die Küche. Setze Wasser auf. Für Tee. Heißen Tee. Er beruhigt mich. Der heiße Tee. Hat er schon immer getan. Der heiße Tee.

Meine Freundin. Wird heute operiert. Das zweite Mal. Der Tumor kam wieder. Wuchs. Trotz Chemo und Bestrahlung. So schnell war wieder was da. Und heute wird sie operiert.

Ich denke an sie. Schicke ihr all meine Energie. Weine. Weine auch. Um sie? Um mich? Um den drohenden Verlust? Den Abschied? Denke ich ihn doch immer mit. Jetzt. Nachdem Josef nicht mehr da ist. Denke und fühle ich den Abschied immer mit. Kann ich nicht mehr vorbehaltlos denken, es wird schon alles gut gehen. Kann den Tod nicht mehr ausblenden. Die Veränderung und den Verlust. Den Verlust der Freundin, so wie sie war.

Gleichzeitig das Annehmen. Annehmen, dass es jetzt anders ist. Das sie sich verändert. Wir andere Dinge zusammen machen. Uns jetzt öfter sehen (immer im Karstadt am Hermannplatz), weil ich das Gefühl habe, es ist wichtig. Weil ich nicht weiß, wieviel Zeit uns bleibt. Und ich mich durch mein Gefühl zu ihr leiten lasse.

Ich bin dankbar. Dankbar, sie in den letzten Monaten noch einmal ganz anders kennen gelernt zu haben. Dankbar dafür, bei ihr zu sein. Anteil nehmen zu dürfen. Und ich hoffe. Natürlich hoffe ich, dass wir noch Zeit haben werden. Ein wenig Zeit. Vielleicht auch mehr Zeit.

Hoffnung. Da schleicht sie sich wieder an. Die Hoffnung. Ich trinke meinen heißen Tee. Ingwer mit Orange. Schaue auf den Bildschirm. Schreibe. Arbeite. Tauche ein.

Irgendwann regnet es. Stürmt. Patienten kommen. Gehen. Wir geben uns nicht mehr die Hand. Das dürfen wir nicht.

Dann ist der Arbeitstag vorbei. Ich schaue auf mein Telefon. Sie hat die Nachricht nicht gelesen. Wie soll sie auch? Sie wurde heute doch operiert.

Ich ziehe mich an. Der Himmel ist wild. Sieht wild aus. So wie das Leben gerade. Ein wildes und stürmisches Leben. Mir ist kalt. Ich eile zur U-Bahn. Es ist still und ruhig.

Fahre einige Stationen. Steige in den Bus. Vorne darf nicht mehr eingestiegen werden. Flatterband. Es wird langsam dunkel. Gespenstische Ruhe. Der Bus fährt an meiner Haltestelle vorbei. Ich ärgere mich nicht. Dann laufe ich noch ein wenig. Spüre den Wind in meinem Gesicht.

Zu Hause. Klara und Jette spielen Verstecke. Uli kocht. Ich bin erschöpft. Spüre die schwindende Anspannung.

Wir essen. Schauen fern. Alle zusammen. Jette schläft in meinem Arm ein. Ich küsse sie immer wieder. Trage sie ins Bett.

Umarme Klara. Meine große Klara. Küsse sie auf ihre Stirn. Ach Mama, sagt sie. Ach Mama.

Irgendwann gehen auch wir schlafen.

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