, Kinderhospiz

Es ist 8.30 Uhr. Ich bin wach. Mein Kopf ist schwer. Ich brauche Zeit um mich zu orientieren. Meine Glieder zusammenzusuchen. Intensive Träume. Bilder in meinem Kopf. In meinem Bauch. Meinem Herz. So viel.

Uli schläft noch. Ich lasse ihn. Stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Ich schaue nicht in den Spiegel. Lieber nicht.

Ich gehe in die Küche. Der Tisch wird gerade gedeckt. Gefragt, wie ich geschlafen habe. Und ob ich einen Kaffee möchte. Ja, sage ich. Ja. Und gut. Gut habe ich geschlafen.

Uli kommt zu uns. Ganz verschlafen. Setzt sich zu uns an den Tisch. Wir erzählen. Trinken Kaffee. Brötchen werden geholt. Die Kinder kommen zum Frühstück.

Ich rufe im Kinderhospiz an. Josef hatte eine durchwachsene Nacht, sagt die Schwester. Die Vitalwerte schwankten. Kein Fieber. Kein großer Krampfanfall. Okay, sage ich. Okay. Jetzt kuschelt sie mit Josef. Er ist entspannt.

Gut, sage ich. Gut. Lege auf. Mein Herz. Bis zum Hals. Ich bin unruhig. Fühle mich hinausgerissen aus der Situation. Hier. Ganz plötzlich. Möchte los. Langsam und schnell los. Und weiß doch. Ich kann nicht aufhalten. Abhalten. Nur aushalten. Einatmen und Ausatmen.

Ich rufe Klara an. Gut geschlafen hat sie. Zeit soll ich mir lassen, sagt sie. Viel Zeit. Gut, sage ich. Gut.

Nach dem Frühstück fahren wir. Umarmen uns zum Abschied. Sind dankbar für die Zeit. Miteinander. Dankbar, dass wir uns alle einander zugemutet haben. Dankbar für die Nähe. Die wohltuende Nähe. Verletzliche und behutsame Nähe. Verbindende Nähe.

Zu Hause. Wir gehen ins Kinderhospiz. Josef, mein Josef. Er liegt in seinem Bett. Der Monitor ist an. Herzfrequenz 160. Sauerstoffsättigung 90.

Ich küsse Josef. Sage, ich bin wieder da. Bin wieder da, mein Bär. Ich streichele seinen schönen Kopf. Küsse ihn. Küsse seinen schönen, kleinen Leberfleck hinter seinem Ohr. Die Schwester kommt. Sagt, Josef hatte gegen eins eine heftige Krise. Atemnot. Dazu hat er gekrampft. Fieber bekommen. Jetzt erholt er sich langsam.

Okay, sage ich. Okay. Ich stelle mir nicht mehr die Fragen: Hätten wir es verhindern können? Hätten wir besser aufpassen können? Nein. Die stelle ich mir nicht mehr. Lasse sie nicht mehr zu. Schicke sie weg. Wenn sie mich aufsuchen. Mich quälen. Sie kosten mich zu viel. Diese Fragen.

Die Rechnung geht nicht auf. Die Fragen führen mich weg. Weg von Josef. Lassen mich nicht sehen, was mit Josef ist. Was mit ihm ist. Ich streichele seinen Kopf. Halte seine Hand. Traue mich nicht, ihn aus seinem Bett zu nehmen. Noch nicht. Er schläft. Scheint zu schlafen.

Uli und ich geben der Schwester Bescheid. Fahren Klara abholen. Werden in die Wohnung der Freundin gebeten. Bleiben kurz. Höflichkeitsbleiben.

Fahren dann los. Mit Klara. Sie ist glücklich. Müde ist sie auch. Erzählt nicht viel. Vor Müdigkeit. Uli geht mit Klara nach Hause.

Ich. Zu Josef. Ins Kinderhospiz. Josef liegt in seinem Bett. Herzfrequenz 140. Sauerstoffsättigung 94. Ich schalte den Monitor aus. Nehme Josef in meinen Arm. Sein Kopf liegt auf meiner Schulter. Ich genieße es. Die Schwere seines Kopfes. Es fühlt sich an, als würde er sich an mich kuscheln.

Ich lege Josef auf meine Brust. Atmen, Josef. Atmen. Ich verlange zu viel. Verlange zu viel. Ach, mein Josef. Ach.

Klara und Uli kommen. Die Geschwisterkinder nehmen Klara gleich mit. Sie gehen in den Garten. Setzen sich auf die Bank. Ich sehe sie lachen. Erzählen und lachen. Das ist schön. Alles Beieinander. Alles Beieinander.

Die Ärztin kommt zu uns. Ist gerade im Haus. Streicht mir über den Arm. Sagt, Josef ist schon weit weg. Ich weiß, sage ich. Ich weiß. Mein Herz. Schmerzt. Schnürt sich nicht so fest zu. Wie sonst. Bei den Worten. Bewegung zulassen.

Irgendwann kommen die anderen Gäste. Pfleger. Schwestern. Eltern. In den Gemeinschaftsraum. Der Abendbrottisch wird gedeckt. Die Hauswirtschaftsfrau hüllt uns mit ihrer Wärme ein.

In mir verändert sich etwas. Das Gefühl von Hab-Acht verändert sich. Wird kleiner. Die Angst. Die Angst vor der Angst. Vor dem Tod. Verändert sich. Die Erwartungsangst. Davor. Wird weicher.

Meine Gedanken wandern. Zu meiner Freundin. Sende ihr. Das was sie braucht gerade. Weiß, es wird sich verändern. Auch das, was ich brauche. Josef braucht. Klara. Uli. Wir. Das verändert sich.

Wir essen. Josef bekommt seinen Brei. Tee. Medikamente. Tränen laufen mir. Ich wiege Josef in meinem Arm. Bin ganz bei ihm. Fast wie in Trance. Wiege mich und ihn.

Der Tisch wird abgedeckt. Wir gehen in Josef Zimmer. Inhalation. Absaugen. Ich ziehe Josef um. Küsse ihn. Lege Josef in sein Bett. Gebe der Schwester Bescheid.

Wir gehen nach Hause. Klara liest mir vor. Ich mache das Hörspiel an. Irgendwann gehen Uli und ich ins Bett. Schlaf. Tiefer Schlaf.

Zuletzt aktualisiert am: 24.12.2019


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