, Zu Hause 2

Der Wecker klingelt. Es ist 7.00 Uhr. Ich habe geschlafen. Bis jetzt. Erschöpft war ich. Erschöpft. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich.

Gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee und Kaffee. Gehe auf den Balkon. Es ist schön heute. Noch so ein schöner Maitag. Den Schulhoffuchs habe ich lange nicht mehr gesehen, denke ich. Einatmen und Ausatmen.

Ich gehe in Josefs Zimmer. Josef, mein Josef. Er ist wach. Die Schwester hält ihn liebevoll in ihrem Arm. Das berührt mich. Zu wissen, Josef wird liebevoll gehalten. Ich frage nach der Nacht.

Josef schlief durch, sagt sie. Vitalwerte waren im Normbereich. Kein Fieber. Keine sichtbaren Krämpfe. Josef hat sehr wenig Körperspannung, sagt sie. Heute Morgen hatte er viel Sekret. Gut, sage ich. Gut.

Ich nehme Josef. Küsse ihn. Die Schwester räumt. Spült. Wechselt aus. Zieht auf. Schlaf gut. Danke. Uli kommt. Ich inhaliere Josef. Sauge ihn ab. Lege ihn mir über die Knie. Kuschele Josef ein. Helfe ihm beim Atmen.

Seine Atmung zieht. Ich inhaliere Josef. Noch einmal. Uli saugt ihn ab. Es wird besser. Langsam. Oder nicht? Welchen Maßstab lege ich an? Was ist besser? Im Vergleich zu? Was? Die Toleranzgrenzen verschieben sich. Josef atmet nicht mehr so kräftig wie vor einem Jahr. Wie vor einem halben Jahr.

Er verändert sich. Unser Josef. Einatmen und Ausatmen. Josef schlummert ein. Zumindest, denke ich. Zumindest habe ich nicht mehr das Gefühl, Josef schwebt. Ich habe das Gefühl, ihn halten zu dürfen. Ihn spüren zu dürfen. Ganz dicht bei ihm zu sein. Im Austausch. Ein innerlicher Austausch.

Haben uns viel zu sagen. Josef. Josef und wir. Haben jetzt zu fühlen. Jetzt. Nicht morgen oder übermorgen. Nein. Jetzt.

Josef schläft. Er ist ganz entspannt. Hat kaum Körpertonus. Ich lege Josef vorsichtig in sein Bett. Josef, mein Bär. Josef. Ich streichele seinen Kopf. Lege meine Hand auf seinen Kopf. Küsse ihn. Immer wieder.

Uli deckt den Frühstückstisch. Klara kommt. Im Schlafanzug. Wir frühstücken. Hören Radio. Josef schläft. Seine Tür steht auf. Der Monitor ist angeschlossen. Herzfrequenz 109. Sauerstoffsättigung 95. Alles gut, denke ich. Alles gut.

Wir sind still. Heute Morgen. Es klingelt. Die Geschwisterkinder aus dem Kinderhospiz. Ob Klara mitkommen kann. Ja, sage ich. Ja. Später kommen wir nach. Klara freut sich. Zieht sich um. Geht mit.

Uli ruft im Kinderhospiz an. Sagt, Klara ist mit den Geschwisterkindern bei euch. Wir kommen nach. Schön, sagt die Schwester am Telefon. Wir werden im Garten sein. Gut, sagt Uli. Gut.

Ich inhaliere Josef. Sauge ihn ab. Es ist wenig Sekret abzusaugen. Ich werde unruhig. Das ist nicht gut. Wenig Sekret.

Josef wird wach. Ich schalte den Monitor aus. Küsse Josef. Inhaliere ihn. Sauge ab. Ziehe Josef vorsichtig um. Ganz vorsichtig. Uli packt die Absauge ein. Medikamente. Spritzen. Katheter. Ich lege Josef in den Kinderwagen.

Dann fahren wir los. Eine Gartenrunde. Durch die Heide. In der Hoffnung, dass das Sekret mobilisiert wird. Irgendwann wieder fließt.

Josef schlummert. Oder nicht? Dann sehe ich das Sekret aus seiner Nase. Aus dem rechten Nasenloch fängt es an. Zu fließen. Ich bin erleichtert. Uli saugt Josef vorsichtig ab.

Dann gehen wir ins Kinderhospiz. In den Garten. Klara spielt mit den Geschwisterkindern. Verstecken? Es erschließt sich mir nicht. Sie scheinen in einer anderen Welt zu sein. Das ist schön. Als wäre eine Hülle um sie. Nur die drei. Ganz geschützt.

Wir Erwachsenen haben da nichts zu suchen. In ihrer Welt. Sie funktioniert nur zwischen den dreien. Das habe ich verstanden. Frage nicht nach. Bohre nicht. Vertraue darauf. Dass sie sich gut tun. Die drei.

Wir setzen uns in die Schaukel im Garten. Gäste sind da. Eltern. Wir erzählen. Ein wenig. Genießen die Sonne. Ab und zu piept ein Monitor. Absaugen rauschen. Tee wird durch Bauchschläuche gegeben. Medikamente werden gebracht.

Die meisten Gäste schlummern. Die Sonne scheint ihnen ins Gesicht. Als wären auch sie in einer Zwischenwelt. Einatmen und Ausatmen.

Abendbrotzeit. Die Gäste und Eltern fahren in den Gemeinschaftsraum. Wir gehen mit unseren Kindern nach Hause. Uli deckt den Tisch. Es gibt Brot. Ich gebe Josef seinen Abendbrei. Er schlummert. Mein Josef. Seine Atmung ist etwas besser. Oder haben wir uns einfach an die ziehende Atmung gewöhnt?

Wir schauen zusammen Kinderfernsehen. Josef liegt auf Uli. Ich bringe Klara in unser Bett. Lese ihr vor. Kuschele mit ihr. Erwische mich, wie ich nach Mathe fragen möchte. Verschiebe es auf morgen. Ich mache das Hörspiel an. Josef schläft. Uli legt ihn in sein Bett. Herzfrequenz 110. Sauerstoffsättigung 96.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Wir gehen ins Bett. Schlafen.

Zuletzt aktualisiert am: 30.04.2021


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