, Zu Hause 2

Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker. Ich stehe auf. Die Tür klappert. Ich warte. Bin angespannt. Leicht angespannt. Erwartungsspannung.

Ich gehe ins Bad. Wasche mich. Gehe in die Wohnküche. Höre Josef. Ganz deutlich. Gehe in sein Zimmer. Er liegt im Arm der Schwester. Ist wach. Sieht erschöpft aus. Seine Atmung zieht.

Josef, mein Josef. Er atmet mit seinem ganzen Körper. Er senkt sich und hebt sich. Sein Körper. Als würde der ganze Körper atmen. Ich küsse ihn. Streichele seinen Kopf.

Die Schwester. Ist ganz ruhig. Sagt, Josef hat grünes Sekret. In der Nacht. Hat er noch einmal Schmerzmedikamente bekommen. Seine Herzfrequenz war sehr hoch. Die Sauerstoffsättigung niedrig. Einatmen und Ausatmen. Okay, sage ich. Ich rufe das SAPV-Team an.

Die Schwester gibt Josef Tee. Durch den Bauchschlauch. Ich hole das Telefon. Rufe an. Das SAPV-Team. Schildere. Um 9.30 Uhr wird die Ärztin kommen. Gut, sage ich. Gut. Ich gebe den Hörer weiter. An die Schwester.

Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Wir gehen in die Wohnküche. Ich setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Decke den Frühstückstisch. Klara fragt, was ist los? Josef, sage ich. Hat wahrscheinlich einen Infekt. Die Ärztin kommt nachher.

Stirbt er, fragt Klara? Einatmen und Ausatmen. Das weiß ich nicht, sage ich. Wir holen dich, sage ich. Du bist nicht allein, meine Klara.

Ich halte sie in meinem Arm. Wiege sie. Wiege sie in meinem Arm. Uli kommt. Geht in Josefs Zimmer. Die Schwester räumt. Spült. Wechselt aus. Zieht auf. Bleibt noch. Bis der Frühdienst kommt. Klara geht los. Los zur Schule. Ich winke ihr. Bis ich sie nicht mehr sehe.

Ich bin hellwach. Konzentriert. Den Gedanken, hätte ich etwas verhindern können, lasse ich nicht zu. Es klingelt. Die Schwester. Unsere Nachtdienstschwester macht mit der Tagdienstschwester eine Übergabe. Wie im Krankenhaus, denke ich. An was ich alles denke in der Situation.

Ich inhaliere Josef. Die Schwester saugt ab. Uli. Meldet sich krank. Josef liegt in meinem Arm. Seine Augen sind halboffen. Ich küsse ihn. Immer wieder. Wenn ich doch nur was tun könnte. Gegen diese Atemnot. Wenn. Wenn. Ich ihn nur retten könnte? Ach, denke ich. Ach.

Um 9.30 Uhr klingelt es. Die Ärztin. Hört ihn ab. Sagt. Ein Infekt. Setzt ein neues Medikament an. Hustensaft soll er bekommen. Wickel. Dann sprechen wir. Lange. Leise. Über das Sterben. Josef, sagt sie. Josef wird sterben.

Mein Körper schmerzt. Mein ganzer Körper. Einatmen und Ausatmen. Ich weiß, sage ich. Das weiß ich doch. Nur das Wissen und das Fühlen. Das bekomme ich nicht zusammen. Wie soll ich es fühlen? Einatmen und Ausatmen.

Jetzt gerade lebt Josef. Noch. Noch ist er nicht tot. Ich komme wieder, sagt die Ärztin. Heute Nachmittag. Gut, sage ich. Gut.

Der Tag. Inhalation. Absaugen. Halten. Küssen. Physiotherapie. Inhalation. Absaugen. Küssen. Halten.

Um 13.30 Uhr klingelt es. Die Ärztin. Zusätzliche Medikamente. Leise Gespräche. Keine Tränen. Kein Platz dafür.

Ich hole Klara ab. Vom Hort. Sie möchte auf den Spielplatz. Ja, sage ich. Ja. Die Mutter ihrer Freundin nickt mir zu. Wie gut, dass sie da ist. Wie gut.

Um 16.00 Uhr geht die Schwester. Ich halte Josef. Lagere ihn auf meinen Knien. Seine Atmung zieht. Seine Atmung verändert sich. Wird schneller. Er wird blau. Uli ist dabei.

Inhalation. Herzfrequenz 180. Sauerstoffsättigung 80. Temperatur 39. Ich gebe Josef ein Medikament. Inhalation. Absaugen. Cortison. Extra. Ich rufe an. Das SAPV-Team.

Die Ärztin kommt. Wir besprechen. Medikamente alle zwei Stunden. Inhalation stündlich. Einatmen und Ausatmen.

Klara. Abendbrot. Zusammen. Kinderfernsehen. Zusammen. Uli bringt Klara ins Bett. Liest ihr vor. Macht das Hörspiel an.

Josef liegt auf meinen Knien. Ich spüre seine Atmung. Sei ganzer Körper atmet. Ich denke nicht. Kann nicht denken. Nur fühlen. Bin bei Josef. Konzentriert. Schmerzvoll. Möchte ihm die Atemnot nehmen. Kann nicht. Kann nicht. Warum nicht? Warum?

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 140. Sauerstoffsättigung 89. Josef. Ich küsse ihn. Inhalation. Absaugen. Umlagern. Herzfrequenz 145. Sauerstoffsättigung 87.

Wir geben ihm Sauerstoff. Josef, mein Josef. Seine Atmung entspannt sich. Josef entspannt sich. Ich rufe beim SAPV-Team an. Sage, Josef bekommt jetzt Sauerstoff. Okay, sagt die Schwester am Telefon. Wir rufen wieder an, sage ich. Wenn sich sein Zustand verschlechtert.

Ja, sagt die Schwester. Ja. Wir sind da. Ich weiß, sage ich. Ich weiß. Gegen Mitternacht gehen wir ins Bett. Schlaf. Unruhig.

Zuletzt aktualisiert am: 30.04.2021


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