, Kinderhospiz

Um 6.20 Uhr bin ich wach. Schaue auf mein Handy. Kein Anruf. Klara und Uli schlafen. Ich bleibe liegen. Schaue aus dem Fenster. Es hat etwas geregnet. Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Gehe in die Küche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee.

Gehe leise aus der Ferienwohnung in den Garten. Setze mich mit einem Handtuch auf den Steg. Die Füße im Wasser. Es ist kühl. Mir wird kalt. Uli kommt. Bringt Kaffee mit. Wir sind still. Reden kaum. Kaum noch. Ich habe Muskelkater, sage ich. Schön war es gestern. Auf dem See, sage ich auch.

Ja, sagt Uli. Das war es. Schade, dass Josef nicht dabei war. Schade. Es wäre nicht gegangen, sage ich. Ja, sagt Uli. Ich weiß. Es schmerzt. Wir schauen auf den See. Er ist still. Der See. Wir sind es auch. Klara kommt im Schlafanzug. Kuschelt sich an uns. Wie hast du geschlafen? Gut, brummt Klara. Gut.

Ich hole ihr eine Decke. Sie legt sich mit der Decke und ihrem Buch auf den Liegestuhl. Liest. Ich bereite das Frühstück vor. Die Sonne lässt sich blicken. Rufe im Kinderhospiz an. Josef hat ruhig geschlafen. Vitalwerte waren in der Norm. Heute morgen hatte er sehr mit seinem Sekret zu tun. Wurde dann besser. Schlapp ist Josef und erschöpft. Okay, sage ich. Okay.

Sollen wir kommen, frage ich. Nein, sagt der Pfleger. Nein. Wir passen auf Josef auf. Genießt euren Urlaub. Danke, sage ich. Danke. Lege auf. Fühle die Anspannung. Langsam kommt sie. Macht sich in mir breit. Gut, dass Josef im Kinderhospiz ist, denke ich. Da ist er sicher. Irgendwie fühlt es sich sicher an. Einatmen und Ausatmen.

Wir frühstücken. Sind still. Reden dann doch. Was wollen wir heute machen? Am letzten Urlaubstag? Uli sagt, er überlegt sich was. Ich vertraue ihm. Dann ziehen wir uns an. Ich packe die Badesachen ein. Alle cremen sich ein mit der Sonnenlotion. Wir fahren ein Stück mit dem Ruderboot. Legen an. Laufen. Durch die Berge. Über ein Feld.

Mir laufen Tränen. Klara hüpft und springt. Es ist schön sie so zu sehen. Gelöst. Im Hier und Jetzt. Ich kann so viel lernen von dir, meine Klara. So viel. Auf wundersame Weise kommen wir wieder an der Anlegestelle an. Rudern noch ein Stück zu einer anderen Anlegestelle. Dort gibt es einen Imbiss. Wir essen Eis. Trinken Limo. Kaufen Postkarten. Uli schreibt sie.

Ich schaue auf den See. Mit den Bergen. Wie schön er ist. Und doch habe ich nicht genug Platz in mir. Für diese schöne Landschaft. Für diesen Ort. Kann ihn nicht verankern. Nur kurzzeitig bin ich ganz da. Ganz kurz. Dann wieder in Watte. Mit einem Abstand. Einem inneren Abstand.

Wir rudern zurück. Auch ich probiere es mal. Es ist schwer. Uli rudert weiter. Mit all seiner Kraft. Er arbeitet sich ab. Lässt Energie fließen.

In der Ferienwohnung. Ich packe die Sachen langsam. Klara liest in ihrem Bett. Taucht ein in diese phantastische Welt. Es ist schön, dass sich ihr dieses Lesefenster geöffnet hat. Am Nachmittag essen wir den Kuchen. Trinken Kaffee. Limo für Klara. Gehen noch einmal spazieren.

Die Sonne scheint. Die Zeit fühlt sich ganz anders an. Hier. Ich fühle mich damit überfordert, über die Zeit bestimmen zu können. Nicht fremdbestimmt zu sein. Hier liegt sie vor uns. Die Zeit. Sagt, mach was mit mir. Und nicht andersherum.

Zu Hause schreit die Zeit: Beeile dich. Halte dich an den Plan. Jede Stunde ist mit Handlungen gefüllt. Inhalieren. Absaugen. Medikamente. Tee. Brei. Vitalwerte messen. Temperatur messen. Lagern. Beobachten. Immer beobachten. Mit all meiner Aufmerksamkeit bei Josef sein. Und bei Klara. Und bei den anderen Menschen.

Die Wohnungstür öffnen. Immer. Wenn es klingelt. Mich halten. An die Zeiten. An die Absprachen. Freundlich sein. Immer freundlich. Zugewandt. Alles im Blick haben. Verständnisvoll sein. Bedürfnisse hintenan stellen. Einatmen und Ausatmen.

Und doch. Glücklich sein. Das Glück, Josef zu haben. Das Glück, dass er bei uns ist. Und doch.

In der Ferienwohnung. Abendbrot essen wir dort im Garten. Wollen keine Menschen mehr um uns haben. Heute. Klara legt sich auf die Liege. Liest. Wir schauen auf den See. Sprechen. Über die nächste Zeit. Bis Ende August kann Josef im Kinderhospiz bleiben. Dann wieder nach Hause. Oder nicht? Doch, sage ich. Doch. Ich spüre, er muss zu uns nach Hause. Gut, sagt Uli. Gut.

Ich rufe im Kinderhospiz an. Josef ist stabil, sagt die Schwester. Viel Sekret. Kein Fieber. Wenig Atemaussetzer. Sie hat mit ihm gekuschelt. Wir sollen uns nicht sorgen. Danke, sage ich. Küsse für Josef. Ja, sagt sie. Bis morgen. Ich lege auf. Klara geht ins Bett. Liest. Wir sitzen am See. Gehen ins Bett. Irgendwann.

Zuletzt aktualisiert am: 24.12.2019


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