, Zu Hause 2

Um 6.30 Uhr bin ich wach. Schalte den Wecker aus. Die Katze. Auf Ulis Sachen. Die Tür klappert. Ich warte. Stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Tränen laufen über mein Gesicht. Lautlose Tränen.

Kaltes Wasser. In meinem Gesicht. Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Gehe auf den Balkon. Die ersten Ferienkinder werden in den Hort gebracht. Es wird schön heute. Ein schöner Julitag.

Ich gehe in Josefs Zimmer. Er schläft. Schlaf, mein Josef. Schlaf. Herzfrequenz 100. Sauerstoffsättigung 97. Die Schwester steht bei ihm. Gibt ihm Tee. Medikamente. Über den Bauchschlauch. Ich streichele Josefs schöne Locken. Küsse ihn.

Frage nach der Nacht. Gut, sagt die Schwester. Gut. Josef schlief durch. Seine Herzfrequenz lag zwischen 80 und 100. Kein Fieber. Keine sichtbaren Krämpfe. Josef wird wach. Ich schalte den Monitor aus. Nehme ihn aus dem Bett. Guten Morgen, mein Josef. Guten Morgen. Ich küsse ihn. Inhaliere Josef.

Plötzlich. Atmet Josef nicht mehr. Wird blau. Ich küsse ihn. Die Schwester saugt ihn ab. Dann. Mit einem lauten Seufzer atmet Josef weiter. Einatmen und Ausatmen. Mein Herz. Poltert. Überschlägt sich. Ist das das Sterben, Josef?

Uli kommt zu uns. Die Schwester berichtet von der Nacht. Von dem Atemaussetzer eben. Uli ist still. Die Schwester räumt. Spült. Wechselt aus. Zieht auf. Verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.

Es klingelt. Die Tagdienstschwester. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Ganz vorsichtig. Küsse seinen Bauch. Seine Brust. Hände. Füße. Seine Nase. PEG reizlos dokumentiert die Schwester. Josef bekommt seinen Morgenbrei.

Es klingelt. Die liebe Logopädin. Ich freue mich. Sie gibt mir Sicherheit. Sie strahlt es aus. Sicherheit. Sicher in dem, was sie tut. Josef wird begrüßt. Mit Berührungen. Beine. Arme. Bis zum Mund arbeitet sie sich vor. Josef reagiert nicht. Du musst nicht müssen, mein Josef. Müssen musst du gar nichts. Atmen, Josef. Vielleicht noch atmen. Ein wenig. Sie verabschiedet sich.

Josef schläft ein. Ich lege ihn in sein Bett. Die Schwester schaltet den Monitor an. Ich gehe aus dem Zimmer. Sage, bitte hole mich, wenn Josef wach wird. Klara und Uli sitzen auf dem Balkon. Auf der Schaukel. Klara hat Cornflakes gegessen. Wie wird der Tag heute werden? Für Klara?

Es klingelt. Die Geschwisterkinder. Fragen, ob Klara mit ins Kinderhospiz kommt. Sie wollen im Garten spielen. Klara freut sich. Zieht sich an. Geht mit. Ich bin glücklich. Glücklich um diese Verbindung.

Josef wird wach. Die Schwester ruft nach mir. Nimmt Josef aus dem Bett. Inhaliert. Saugt ab. Sagt, im Schlaf hatte Josef auch Atemaussetzer. Erholte sich aber schnell. Okay, sage ich. Okay. Einatmen und Ausatmen. Josef, hörst du? Einatmen und Ausatmen.

Es klingelt. Die Physiotherapeutin. Dreht und wendet Josef. Sagt, die Lunge ist frei. Gut, sage ich. Gut. Wenigstens das. Erzähle von den Atemaussetzern. Sie ist still. Dann bei einem anderen Kind. Mit ihren Gedanken und Worten. Verabschiedet sich. Josef, mein Josef. Ich gebe ihm seinen Brei. Tee. Medikamente. Die Schwester geht. Feierabend.

Josef hat Fieber, 38,6. Ich gebe ein Medikament. Gegen das Fieber. Halte ihn in meinem Arm. Plötzlich. Atmet Josef nicht mehr. Wird blau. Seufzt laut. Atmet. Weiter. Ich halte Josef. Küsse.

Plötzlich. Atmet Josef nicht mehr. Wird blau. Seufzt laut. Atmet. Weiter. Ich halte Josef.

Plötzlich. Atmet Josef nicht mehr. Wird blau. Seufzt. Atmet. Weiter. Ich küsse.

Plötzlich. Atmet Josef nicht mehr. Wird blau. Seufzt laut. Atmet. Weiter. Ich halte. Küsse. Weine. Josef, mein Josef. Atmen nicht vergessen. Atmen. Ich verlange zu viel, mein Josef. Verlange zu viel.

Es klingelt. Klara wird gebracht. Wir setzen uns auf den Balkon. Die Schule mit dem Hort wird zugeschlossen. Abendbrot. Brot. Für Josef Brei. Tee. Medikamente. Wir schauen Kinderfernsehen. Uli bringt Klara ins Bett. Liest vor. Macht das Hörspiel an.

Josef. Atmet nicht mehr. Blau. Seufzt. Atmet. Weiter. Küsse. Atmet nicht mehr. Blau. Seufzt. Atmet. Weiter. Atmet nicht mehr. Blau. Seufzt. Atmet. Weiter. Fieber. Küsse. Halten Medikamente. Küsse. Uli ruft das SAPV Team an.

Josef. Atmet nicht mehr. Blau. Seufzt. Atmet weiter. Ich gebe ihm ein Medikament zum Schlafen.

Es klingelt. Das SAPV-Team. Josef schläft ein. Herzfrequenz 180. Sauerstoffsättigung 94. Wir sind still. Dann reden wir. Über das Sterben. Wie sieht es aus. Das Sterben? Woran erkennen wir es? Erkennen wir, ob es eine Krise ist? Oder das Sterben? Jedes Kind ist anders, sagt die Schwester. Josef wird es zeigen. Mir laufen Tränen.

Es klingelt. Die Schwester. Ich lege Josef in sein Bett. Herzfrequenz 150. Sauerstoffsättigung 90. Das SAPV-Team geht. Kommt morgen früh wieder. Wir gehen ins Bett. Schlaf. Irgendwann.

Zuletzt aktualisiert am: 29.06.2021


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