, Zu Hause 1

Um 5.30 Uhr klingelt der Wecker. Ich bin immer noch wach. Ich pumpe Milch ab. Darf aufstehen. Gehe ins Bad. Wasche mich. Gehe ins Wohnzimmer. Josef schläft. Schläft ganz friedlich. Wie war die Nacht, frage ich. Ich bin angespannt. Ich spüre es ganz deutlich.

Die Schwester sagt Worte. Ich verstehe sie nicht. Josef ist subfebril bei 37,7°. Tachykard. Tachypnoeisch. Um 5.16 Uhr. Sagt sie wirklich 5.16 Uhr? Ja. Um 5.16 Uhr hatte er eine Minute Singultus. Was ist ein Singultus, frage ich. Schluckauf. Ah, sage ich.

Sie erzählt weiter. Sie hat beobachtet, dass Josef 4 mal mit dem Kopf genickt hat. Das war sicher ein Krampf. Wir sollen es beobachten. Die Vitalwerte, frage ich. Wie waren die Vitalwerte? In der Norm. Ach so.

Ich gehe in die Küche. Stelle die leeren Flaschen in den Geschirrspüler und die vollen in den Kühlschrank. Setze Wasser auf für Tee und Kaffee. Decke den Frühstückstisch.

Ich spüre ein Unbehagen in mir. Warum spricht die Schwester nicht normal mit mir? So, dass ich es verstehe? Ihre Beschreibungen und Worte kann ich kaum einordnen. Ich schaue nachher erstmal nach, was das alles bedeutet. Soll ich die Ärztin fragen? Ich bin so in Gedanken, dass ich gar nicht bemerke wie Klara in die Küche schleicht. Guten Morgen, meine Sonne. Cornflakes? Ja, sagt sie. Müde sieht sie aus.

Uli kommt in die Küche. Ich gehe ins Wohnzimmer. Josef wird wach. Seine Atmung ist ganz angestrengt. Die Schwester inhaliert ihn gerade. Ich frage nach dem Sekret. Ist es gelb? Nein, sagt sie. Gut.

Als sie fertig ist, nehme ich Josef. Guten Morgen, mein Bär. Küsse ihn. Halte ihn. Kann gar nicht glauben, was die Schwester alles erzählt hat. Was sie alles sieht. Sie verabschiedet sich. Geht. Bis heute Abend. Mh, sage ich.

Klara geht los. Los in die Schule. Uli winkt ihr nach. Bis er sie nicht mehr sieht. Uli, sage ich. Ich bin verunsichert. Er schaut in die Akte. Wir schauen nach, was die Begriffe bedeuten. Tachykard: erhöhter Puls. Tachypnoeisch: Schnellatmigkeit. Subfebril: erhöhte Körpertemperatur. Und nun? Was sollen wir damit anfangen?

Ich rufe in der Arztpraxis an. Werde durchgestellt. Ich bin so dankbar dafür. Erzähle kurz. Sie sagt, ich kann gern vorbeischauen. Nachher. Am Nachmittag. Nach der Sprechstunde. Gut, sage ich. Und danke, danke, danke. Einatmen und Ausatmen.

Josef macht auf mich einen ganz normalen Eindruck. Ich inhaliere ihn noch einmal. Sauge ihn ab. Lege ihn mir über die Knie. Er entspannt sich. Schlummert wieder ein. Einatmen und Ausatmen. Uli ist im Schlafarbeitszimmer. Arbeitet. Die Sonne scheint. Erst jetzt bemerke ich es.

Um 9.00 Uhr klingelt es. Die Haushaltshilfe. Sie öffnet die Fenster. Merkt, dass ich ganz verschlossen bin. Ich gebe Josef seine Morgenmilch. Ganz langsam. Ganz langsam lasse ich die Milch in seinen Magen fließen. Ich ärgere mich. Ich ärgere mich darüber, dass ich mich verunsichern lassen habe.

Es klingelt. 10.00 Uhr. Der ruhige Pfleger. Ich zeige ihm die Akte. Er sagt, aha. Mehr sagt er nicht. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Ganz vorsichtig, damit die Nasensonde nicht rausrutscht. Der Pfleger inhaliert Josef. Dann schläft Josef wieder ein. Schlaf ruhig, mein Josef. Schlaf. Der Pfleger legt Josef in sein Bett.

Gegen 12.00 Uhr wird Josef wach. Er wird wieder inhaliert. Abgesaugt. Ich lege mir Josef auf meinen Schoß. Gebe ihm vorsichtig die Mittagsmilch. Unsere Haushaltshilfe verabschiedet sich. Wünscht uns alles Gute. Wir sollen uns melden, wenn wir wieder nach Hause ziehen. Einen wunderschönen Frühling, wünscht sie uns. Die Sonne, sagt sie, die Sonne. Lass sie zu euch durchscheinen. Danke, sage ich. Dann drückt sie mich. Mich und Josef in meinem Arm. Das tut gut.

Um 13.00 Uhr klingelt es. Die liebe Physiotherapeutin. Ich bin fast wehmütig. Heut werden wir uns das letzte Mal sehen. Für eine ungewisse Zeit. Ich ziehe Josef langsam aus. Lege meine Hände auf seinen schönen Körper. Seinen schönen Kopf. Schaue ihm in die Augen. Küsse ihn.

Dann übergebe ich Josef den Händen der Physiotherapeutin. Erzähle von der Nacht. Sie spürt nach dem Sekret in der Lunge. Sie sagt, es fühlt sich an wie immer. Nichts Außergewöhnliches. Gut, sage ich. Dann lachen wir auch. Ein wenig. Wir verabschieden uns. Verabreden ein Besuch. Im Kinderhospiz. Ich melde mich, sage ich. Wir umarmen uns. Das tut gut. Die zweite Umarmung heute.

Josef ist wach. Entspannt und wach. Ich gebe Josef dem Pfleger. Er nimmt ihn in sein Arm. Setzt sich mit ihm auf das Sofa und liest Josef vor. Michael Ende. Das ist schön.

Ich gehe los. Los in den Hort. Klara kommt mir entgegen. Wir laufen vorn entlang. An der Straße. Sie hüpft und springt. Ich spüre meine Müdigkeit. Zu Hause mache ich Tee und Kakao. Kekse gibt es auch. Josef schläft. In seinem Bett. Es klingelt.

15.30 Uhr ist es. Die Ärztin. Sie schaut sich Josef an. Horcht die Lunge ab. Erhöhte Temperatur hat er nicht mehr. Alles gut, sagt sie. Kein Infekt. Dann verabschieden wir uns. Sie umarmt mich. Sie machen das wunderbar, sagt sie. Danke, sage ich. Noch eine Umarmung heute. Als spüren sie, dass ich das brauche heute. Umarmungen.

Der Nachmittag verfliegt. Uli macht Feierabend. Der Pfleger geht. Alles Gute, wünscht er uns. Danke. Zusammen essen wir Abendbrot. Brot heute. Ich inhaliere Josef. Sauge ihn ab. Gebe ihm seine Abendmilch. Zusammen schauen wir Kinderfernsehen. Uli bringt Klara in unser Bett. Liest ihr vor. Macht ihr das Hörspiel an.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Josef schläft ganz fest. Ich lege ihn in sein Bett. Ich berichte von der Ärztin. Gute Nacht, mein Josef!

Um 3.00 Uhr pumpe ich Milch ab. Gehe in die Küche. Stelle sie in den Kühlschrank. Gehe ins Wohnzimmer. Josef schläft. Schlaf, mein Josef. Schlaf. Alles gut. Ja.

Zuletzt aktualisiert am: 23.02.2020


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