, Kinderhospiz
Es ist 6.30 Uhr. Der Wecker klingelt. Ich schalte ihn aus. Die Katze liegt auf Ulis Sachen. Ich stehe auf. Gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Decke den Frühstückstisch.
Gehe auf den Balkon. Es ist frisch draußen. September. Kinder werden gebracht. In den Hort. Von ihren Eltern. Sie eilen davon. Die Eltern. Wohin nur? Wohin? Früher. Irgendwann früher, waren wir auch solche Eltern. Eilten davon. Wohin nur? Wohin?
Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Ich küsse sie. Auf ihren Kopf. Klara und Uli setzen sich an den Tisch. Ich gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Setze mich zu den Beiden.
Dann gehen wir los. Klara in die Schule. Wir ins Kinderhospiz. Ich werde unruhig. Erwartungsunruhig. Wer weiß, was heute Nacht war? Wer weiß? Ach, denke ich. Ach. Ich kann es nicht ändern. Einatmen und Ausatmen. Annehmen. Jetzt ist jetzt.
Wir laufen die Treppe hoch. Links. Zweite Tür. Josef ist wach. Die Schwester inhaliert Josef. Ich streichele seine schönen Locken. Küsse ihn. Frage nach der Nacht. Keine Besonderheiten, sagt die Schwester. Der Nachtdienst hat nichts berichtet. Gut, sage ich. Gut. Küsse Josef.
Er bebt. Zittert und bebt. Ganz leicht. Krampft. Innerlich. Ich nehme Josef. Sein Kopf auf meiner Schulter. Es ist schön, ihn so zu spüren. Sein Kopf auf meiner Schulter. Als würde er sich an mich kuscheln. Josef, mein Josef.
Uli lässt Wasser in die Pflegewanne. Ich ziehe Josef vorsichtig aus. Ganz vorsichtig. Ich habe das Gefühl, das Beben hört auf. Er ist schläfrig. Nicht da. Nicht wirklich da. Weit weg. Josef, mein Josef. Du musst nicht. Du musst nicht müssen.
Uli badet Josef. Ich trockne ihn ab. Küsse Josef. Überallhin. Tränen fließen. Leise Tränen. Weit weg bist du schon, mein Bär. Weit weg. Mein Herz schmerzt. Als wäre es eingeklemmt. Einatmen und Ausatmen. Einatmen und Ausatmen.
Josef, mein Josef. Ich weiß. Wir atmen nicht mehr zusammen. Eine Weile schon nicht mehr. Jeder für sich. Jeder für sich. Wir gehen zum Frühstück. Die Gäste kommen. Pfleger. Schwestern. Wenige Eltern.
Ich gebe Josef seinen Morgenbrei. Tee. Medikamente. Küsse ihn. Immer wieder. Ganz erschöpft liegt er in meinem Arm. Als wäre er nicht mehr da, mein Josef.
Die Physiotherapeutin kommt. Verabredet sich mit uns. Nach dem Frühstück. Wir gehen in Josefs Zimmer. Sie dreht und wendet Josef. Er schläft ein. War noch nicht wach. Heute.
Wach. Was bedeutet es für Josef? Wach zu sein? Krämpfe? Atemnot? Schmerzen? Einatmen und Ausatmen. Ich versuche, mich zu spüren. Damit ich da bin. Für Josef. Für Klara. Für Uli. Für mich. Mich nicht verliere in Vorstellungen. Phantasien.
Annehmen. Annehmen, mein Josef. Wie schwer es ist. Immer wieder neu. Justieren. Was ist jetzt gut für dich, mein Josef? Was müssen wir ändern? Anpassen? An deinen Zustand? Jetzt? Das Gestern und Morgen sind nicht hilfreich. Das Jetzt ist wichtig.
Wir geben der Schwester Bescheid. Holen Klara aus der Schule ab. Gehen wieder ins Kinderhospiz. Ziehen Josef an. Legen Josef sanft in den Rehabuggy. Packen alles ein. Absauge. Medikamente. Tee. Fahren mit der Straßenbahn. Sind still. Während der Fahrt.
Kommen an. Beim Neonatologie-Sommerfest. Sind da. Werden mit Umarmungen begrüßt. Klara ist verschwunden. Spielt mit einer Freundin. Bedruckt T-Shirts. Uli holt Kaffee. Kuchen.
Eine Schwester hält Josef. Ganz liebevoll. Es ist vertraut. Hier zu sein. Mit den Schwestern. Den Ärzten. Den anderen Familien. Die ich kaum erkenne. Habe sie damals kaum wahrgenommen. Es war kein Platz in mir. Damals. Kein Platz für die anderen Leben. Lebensgeschichten. Kein Platz.
Dennoch tauschen wir Worte. Berührungen. Telefonnummern. Sind still. Trotz der Kinder und vielen Menschen. Ist es still. Eine innere Stille. Uli spricht den Klinikleiter an. Sagt, wir sind es. Mit Josef. Ja, sagt der Klinikleiter. Ja. Er schaut Josef an. Berührt ihn sanft. Bedacht ist er. Sagt, Josef hat uns alle sehr beeindruckt.
Uli und ich. Wir bedanken uns. Für die Begleitung. Damals und heute. Es fängt an zu regnen. Wir verabschieden uns. Umarmungen. Für die Schwestern. Die Elternberatung. Dann gehen wir los. Josef schwebt. Die ganze Zeit. Schlummert. Ist nicht da. Nicht hier. Oder doch? Oder doch?
Im Kinderhospiz. Ich gebe Josef seinen Abendbrei. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Ich lege ihn in sein Bett. Wir geben der Schwester Bescheid. Klara holen wir aus dem Jugendzimmer ab. Dort ist sie mit den Geschwisterkindern.
Wir gehen nach Hause. Tränen laufen. Dankbarkeit fühle ich. Dankbarkeit. Wir schauen Kinderfernsehen. Uli bringt Klara ins Bett. Sie liest. Ich mache das Hörspiel an. Irgendwann gehen wir ins Bett. Schlaf.
Zuletzt aktualisiert am: 24.12.2019