, Kinderhospiz

Es ist 6.45 Uhr. Ich bin wach. Klara und Uli schlafen noch. Die Katze liegt auf Ulis Sachen. Ich stehe auf. Gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee.

Gehe auf den Balkon. Es ist still. Keine Menschen. Wie wohltuend. Den Fuchs habe ich lange nicht mehr gesehen. Ich gehe in Josefs Zimmer. Streiche mit meiner Hand über sein Bett. Ich öffne das Fenster. Sein Mobile mit den Flugzeugen klappert leise.

Uli kommt. Bringt den Kaffee. Es ist kühl heute. Es wird Herbst. Das Laub verfärbt sich langsam. Klara kommt. Fragt, ob sie fernsehen darf. Ja, sage ich. Ja. Es ist doch Wochenende. Sie macht es sich wieder in unserem Bett gemütlich. Ich bringe ihr einen Kakao.

Uli und ich. Wir reden. Leise. Können noch nicht normal miteinander sprechen. In unsere Wohnung. Haben immer noch das Gefühl, jemand hört uns zu.

Wir besprechen, was die Kinder brauchen. Klara für die Schule. Beide Kinder für den Herbst und Winter. Was müssen wir besorgen?

Mein Herz schnürt sich zu. Dabei. Herbst. Winter. Infekte. Wird Josef es schaffen? Werden wir ihn schützen können? Vor den Vieren? Einatmen und Ausatmen. Wie soll das gehen? Josef vor den Viren zu schützen? Wie soll das gehen? Mute ich mir nicht zu viel zu? Wir uns?

Hoffen. Das dürfen wir. Ein wenig. Ein wenig schleicht sie sich an. Die Hoffnung. Bleib ein wenig. Bleib. Hoffnung. Gestern gab es keine Krise. Vielleicht bleibt es so. Eine kleine leise Weile? Vielleicht.

Wir gehen ins Kinderhospiz. Josef, mein Josef. Er liegt im Arm der Schwester. Der Monitor schreit. Metallisch. Sauerstoffsättigung 69. Herzfrequenz 170.

Ich nehme Josef. Mein Herz. Bis zum Hals. Mein Kopf. Klar. Die Schwester saugt ab. Mehrfach. Ich lege Josef über meine Knie. Seinen Kopf nach unten. Helfe ihm beim Atmen. Mit meinen Händen. Küsse ihn. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn noch einmal ab.

Die Schwester misst die Temperatur. 39,0. Josef bekommt ein Medikament. Hoffnung, ach. Hoffnung. Mir laufen Tränen. Leise Tränen. Uli legt seine Hand auf Josefs Kopf. Klara ist verschwunden. Mit den Geschwisterkindern. Ich frage die Schwester nach der Nacht. Nichts Besonderes, sagt sie. Nichts Besonderes. Okay. Okay.

Einatmen und Ausatmen. Verorten. Es fällt mir schwer. Ich bin durcheinander. Mit meinem Wunsch. Josef soll nach Hause kommen. Der Realität. Den Krisen. Dem schlechten Zustand von Josef. Von Allem.

Mein Gefühl sagt, Josef gehört nach Hause. Zu uns. Mein Gefühl sagt das. Was sagt deins, mein Josef? Was sagt deins? Stelle ich meinen Wunsch über dich? Über uns?

Josef schläft ein. Auf meinen Beinen. Ich bleibe sitzen. Mit Josef. Streiche mit meinen Händen über seinen Rücken. Helfe ihm beim Atmen.

Gegen 13.00 Uhr lege ich Josef in sein Bett. Herzfrequenz 140. Sauerstoffsättigung 93. Temperatur 38,0. Ich werde ruhig. Ich küsse Josef. Klara kommt zu uns. Verschwindet dann wieder. Spielt im Garten Fußball.

Um 14.00 Uhr bekommen wir Besuch. Von einer Schwester aus der Neonatologie. Es ist schön. Schön und vertraut. Sie bringt Marmelade mit. Ich freue mich. Wir erzählen leise. Weil wir es uns angewöhnt haben. Das leise Sprechen.

Von Josef erzählen wir. Von meinem Durcheinander. Sie tut mir gut. Kennt mich aus der ersten Zeit. Kennt mich in solchen Zuständen. Im Selber-Schweben. Nicht Verortet-Sein. Ich erschrecke sie nicht.

Sie sagt, hör auf dein Gefühl. Josef wird es dir deutlich zeigen. So wie er es immer macht. Vertraue ihm. Sie streicht mir über den Arm. Das tut mir gut. Josef, mein Josef. Vertrauen. Heißt das auch Loslassen? Loslassen von den vielen Gedanken? Den kreisenden Gedanken? Heißt es einlassen? Vertrauen? Auf dich, mein Josef?

Er wird wach. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Ich nehme ihn in meinen Arm. Wir gehen in den Gemeinschaftsraum. Trinken Tee. Kaffee. Kuchen wurde gebacken.

Josef liegt in meinem Arm. Seine Augen öffnen sich leicht. Dann schließen sie sich wieder. Er bebt ganz sanft. Wir verabschieden die Schwester. Wir bleiben im Gemeinschaftsraum. Wagen es nicht in den Garten.

Gegen 17.30 Uhr kommen die Gäste. Pfleger. Schwester. Eltern. Abendessen. Josef bekommt seinen Abendbrei. Tee. Medikamente. Die Geschwisterkinder verabschieden sich. Klara möchte auch los. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Ich küsse ihn. Lege Josef in sein Bett.

Wir geben der Schwester Bescheid. Sagen, wir melden uns, wenn wir zu Hause sind. Wir lachen.

Zu Hause. Fünf Minuten später. Ich rufe im Kinderhospiz an. Sage, wir sind zu Hause. Wir lachen. Wieder. Aus vollem Herzen. Mir laufen Tränen vom Lachen. Es tut gut. Ich merke, neben der schweren Schwere wird auch die Leichtigkeit leichter.

Langsam begreife ich, warum so viel gelacht wird. Im Kinderhospiz. Weil wir uns lösen. Von was auch immer. Die Bedeutungen wandeln sich. Lösen sich auf. Es ist ein innerer Wandel. Äußerlich nicht sichtbar. Nicht erklärbar. Ein innerer Wandel. Ein Loslösen von.

Wir schauen Kinderfernsehen. Ich bringe Klara ins Bett. Sie liest. Dann mache ich das Hörspiel an. Küsse sie. Uli und ich. Schauen fern. Gehen ins Bett. Schlafen. Irgendwann.

Zuletzt aktualisiert am: 24.12.2019


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