, Zu Hause 2

Ich bin wach. Schon lange. Es ist 7.00 Uhr. Ich liege im Bett. Regungslos. Lausche in der Wohnung. Höre ich eine Tür klappern? Ich versuche mich anzustrengen. Da ist doch was, oder?

Die Monate mit Josef zu Hause sind fest eingeschrieben in mir. In meinem Körper. Meiner Seele. In mir. Wie ein Phantomschmerz, denke ich. Etwas spüren, das nicht mehr da ist. Mit alle meinen Sinnen.

Dennoch. Josef ist nicht da. Josef ist nicht im Kinderhospiz. Er ist tot. Ich kann es nicht begreifen. Ich weiß, es ist so. Doch fühlen? Was fühle ich da? Wie Sinnestäuschungen. Höre ich den Monitor piepen? Die Absauge rauschen? Die Türen klappern? Einatmen und Ausatmen, mein Josef. Einatmen und Ausatmen. Auch ich muss es lernen. Wieder lernen. Das Einatmen und Ausatmen. Mein Herz ist schwer.

Ich stehe auf. gehe ins Bad. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Ich gehe in die Wohnküche. Setzte Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Die Katze kommt. Sie stört mich. ihre Lebendigkeit ertrage ich kaum. Schäme mich für dieses Gefühl. Sie kann ja nichts dafür. Ich gebe ihr Futter.

Uli kommt. Er sieht müde aus. Klara kommt. Ja, sage ich. Du darfst fernsehen. Es sind ja Ferien. Klara geht in unser Bett. Kuschelt sich ein und sieht fern. Ich bringe ihr einen Kakao. Küsse sie auf ihren Kopf.

Es klingelt. Es ist 9.00 Uhr. Mein Herz. Bis zum Hals. Der Rehatechniker. Er holt heute Josefs Sachen ab. Allein ist er. Er sagt nichts. Zu Josef. Kein Beileid. Nichts. Auf seinem Zettel stehen die Dinge. Pflegebett. Lagerungskissen. Rehabuggy. Therapiestuhl.

In mir reißt es. Unerträglich. Die Situation. Er trägt den Therapiestuhl runter. Den Rehabuggy holt Uli aus dem Keller. Das Lagerungskissen. Das Bett wird auseinandergebaut. Uli. Muss helfen. Ich ertrage die Situation kaum. Habe das Gefühl, innerlich zu zerreißen. Zu zerspringen. Mich aufzulösen.

Dann. Stehen Josefs Sachen im Hof. Werden eingeladen. In den Transporter. Ich stehe am Fenster. Weine. Schluchze. Laut. Sehr laut. Josefs Zimmer gibt es nicht mehr. Seine Sachen gibt es nicht mehr. Werden nun aufbereitet für andere Kinder. Sind weg. Josefs Zimmer. Fast leer.

Uli und ich. Klara im Schlafzimmer. Es ist 10.00 Uhr. Klara darf im Bett frühstücken. Dann gehen wir laufen. Gartenrunde. Gehen ins Kinderhospiz. Kurz in den Gemeinschaftsraum. Die Hauswirtschaftsfrau ist da. Sie tut mir gut. Berührt meinen Arm. Sagt, Anne du musst essen. Ja, sage ich. Ja. Werde es tun. Das weiß ich.

Zu Hause. Das Telefon klingelt. Der Sauerstoffmann. In einer halben Stunde ist er da. Holt die Tonne ab. Gut, sage ich. Gut.

Es klingelt. Er kommt die Treppe rauf. Sagt, ihm tut es leid. Danke, sage ich. Mehr hat es nicht gebraucht. Mehr nicht. Die Sauerstofftonne. Die Treppe runter. Ins Auto mit ihr. Nie wieder rauf. Nie wieder die Treppe rauf. Einatmen und Ausatmen.

In Josefs Zimmer steht das Sofa. Regale. Sein Wickeltisch. Leer ist es. Leer. Ich beginne unter Tränen Josefs Sachen in Kisten zu packen. In Kisten. Berühre seine Bodys. Seine Oberteile. Hosen. Socken. Weine. Weine und weine. Küsse sie. Die Sachen. Drücke sie an meine Brust. Wiege mich mit den Sachen. Hin und her. Wie in Trance.

Nach zwei Stunden sind die Sachen in Kisten verstaut. Es war schmerzhaft. Eine andere Form von Schmerz als ich kannte. Der Schmerz, wie viele Facetten er hat. Der Schmerz. Nicht gedacht, was alles zu fühlen ist. Nicht gedacht. Gefühle kann ich nicht denken. Nicht vordenken. Vorfühlen. Keine Angst vor den Gefühlen. Die Angst hat Josef mitgenommen. Josef, mein Josef.

Am Nachmittag. Tee. Kakao. Kekse. Ich schäle Kartoffeln. Für eine Suppe. Für morgen. Die Beerdigung. Ich freue mich. Irgendwie. Freue mich. Josef in seinem Sarg zu sehen. Ihm nah zu sein. Darf ich mich freuen? Auf die Beerdigung meines Josefs? Einatmen und Ausatmen.

Wir essen Abendbrot. Brot gibt es. Wir schauen Kinderfernsehen. Bringen Klara in unser Bett. Sie liest uns vor. Ich mache ihr das Hörspiel an. Uli und ich. Wir sind still. Schauen fern. Wissen nicht was. Gehen ins Bett. Schlaf. Irgendwann Schlaf.

Zuletzt aktualisiert am: 20.10.2019


Jetzt Spenden! Das Spendenformular wird von betterplace.org bereit gestellt.

❤️ Mehr darüber, wie du uns unterstützen kannst.