, Kinderhospiz

Um 6.00 Uhr bin ich wach. Ich habe das Gefühl, im Schlaf geweint zu haben. Klara und Uli schlafen. Ich bleibe liegen. Bleibe einfach noch liegen. Spüre meinen Körper. Spüre den Schmerz in der Brust. Da wo das Herz.

Ich stehe auf. Wasche mich. Einatmen und Ausatmen. Uli wird wach. Klara auch. Sie möchte fernsehen. Ja, meine Klara. Es sind ja Ferien. Uli und ich gehen zu Josef. Den Gang hinunter. Am Gemeinschaftsraum vorbei. Dann rechts.

Josef schläft noch. Uli geht in die Küche. Holt Kaffee. Sagt, die Kerze brennt nicht mehr. Die Schwester kommt. Ich frage nach dem Kind. Sie sagt, das Kind wurde abgeholt. Dann sprechen wir. Über das Sterben. Das Danach. Josef schläft. Schlaf, mein Josef. Schlaf. Ich stehe bei ihm. Meine Hand auf seinem schönen Kopf.

Wir sprechen. Über das Nach-dem-Sterben. Dass Kerzen angezündet werden. Die Eltern entscheiden können, ob das Kind noch bleibt. Bis zu drei Tage kann es noch bleiben. Entweder im Zimmer. Oder im Abschiedsraum.

Die Eltern entscheiden, was passiert, sagt die Schwester. Manche bemalen Steine. Den Sarg. Es ist ganz unterschiedlich. Was die Eltern und das Kind brauchen. Oft kommen Freunde und Verwandte. Verabschieden sich von dem Kind. Tränen laufen mir. Über das Gesicht. Mein Herz schmerzt. Das gehört wohl dazu. Zum Leben. Das Sterben. Und das Danach. Das Danach.

Josef wird langsam wach. Ich inhaliere ihn. Uli saugt ihn ab. Ich nehme Josef aus seinem Bett. Küsse ihn. Die Schwester lässt die Wanne ein. Das Morgenbad, mein Bär. Ich ziehe Josef vorsichtig aus. Ganz vorsichtig, damit die Nasensonde nicht rausrutscht. Ich halte mich an der Routine fest. An den Abläufen. Sie halten mich zusammen. Gerade.

Uli geht zu Klara. Dann kommen sie zusammen. Ich trockne Josef ab. Küsse ihn. Öle seinen Körper ein. Spüre sein kleines Herz. Spüre, wie sein Brustkorb sich auf und ab bewegt. Einatmen und Ausatmen. Mein Bär. Einatmen und Ausatmen. Ich ziehe Josef an. Dann setzen wir uns in Josefs Zimmer. Sprechen mit Klara. Über das Sterben. Dass ein Kind gestern gestorben ist. Im Kinderhospiz. Uli hält Klara im Arm. Sie weint. Wir nehmen uns alle in den Arm. Halten uns. Sind ganz still.

Dann gehen wir in den Gemeinschaftsraum. Die Kinder kommen. Die Eltern. Die Pflegekräfte. Es sind gerade Ferien. Der Gemeinschaftsraum ist voll. Wir frühstücken. Es ist trotz der vielen Menschen still. Heute. Stille. Ich gebe Josef seinen Morgenbrei. Die herzenswarme Hauswirtschaftsfrau kommt zu uns. Wir erzählen. Leise. Heute müssen wir leider wieder fahren, sagen wir. Leider. Würden gern länger bleiben.

Sie lächelt. Geht. Kommt wieder. Sagt, wenn ihr wollt. Könnt ihr noch bleiben. Die Pflegedienstleitung kommt zu uns. Sagt, bis Samstag haben wir Platz. Für euch. Platz für uns, denke ich. Wir fragen Klara. Sie sagt, sie möchte gern noch hier sein. Am Freitag kommen doch die Klinikclowns.

Wir bleiben, entscheiden wir. Wie bleiben. Ich rufe die Pflegedienstleitung von unserem Pflegedienst an. Sage, wir möchten gern noch im Kinderhospiz bleiben. Kein Problem, sagt sie. Die Schwestern haben viele Überstunden. Für sie ist es gut noch frei zu haben. Eine gute Zeit wünscht sie uns. Am Samstag wird der Nachtdienst kommen. Den Bereitschaftsdienst für den Samstag lässt sie auch im Dienstplan. Danke, sage ich. Danke.

Mit Josef gehen wir spazieren. Nicht ohne Pausen. Zum Halten und Küssen. Zum Absaugen. Medikamente geben. Nahrung sondieren. Im Laufen begreifen. Das Sterben. Gestern so nah. Gefühlt.

Den Nachmittag verbringen wir im Garten. Klara spielt mit zwei Geschwisterkindern. Sie sind ganz vertieft. Es ist schön, sie so zu sehen. Zum Abendessen sind wir im Gemeinschaftsraum. Es sind wenige Eltern da. Unterwegs mit ihren Kindern. Es ist vertraut. In diesem Raum. Ich gebe Josef seinen Abendbrei.

Wir sitzen. Schauen in den Garten. Es ist sonnig. Wir reden ein wenig. Mit den Eltern. Die wir kennen. Vom letzten Mal. Reden ein wenig. Nur ein wenig heute.

Ich ziehe Josef vorsichtig um. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Ich halte ihn in meinem Arm. Klara spielt mit den anderen Kindern. Sie sind verschwunden. Irgendwo im Haus. Ich lege Josef in sein Bett. Schalte den Monitor an. Herzfrequenz 128. Sauerstoffsättigung 93. Uli sagt der Schwester Bescheid.

Wir gehen in den Garten. Setzen uns auf die Bank. Reden. Ganz leise. Dann suchen wir Klara. Finden sie mit den anderen Kindern im Gemeinschaftszimmer. Wir setzen uns etwas zu ihnen. Dann gehen alle ins Bett. Verabreden sich für morgen. Schön ist das. Klara ist glücklich. So dicht beieinander. Die Tränen am Morgen und das Glück am Abend, denke ich. So dicht beieinander.

Zuletzt aktualisiert am: 29.07.2020


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