, Zu Hause 2

Ich bin wach. Schalte den Wecker aus. Es ist 6.30 Uhr. Die Katze sitzt unter dem Bücherregal. Ich stehe auf. Die Tür klappert. Ich warte. Sehe. Die Katze war in der Nacht auf dem Katzenklo. Es steht direkt an der Tür. Gut, denke ich. Gut. Sie geht auf das Katzenklo.

Ich gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Mir ist etwas mulmig. Ob es in Ordnung ist? Mit der Katze? Hätten wir um Erlaubnis fragen sollen? Beim Pflegedienst? Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Quatsch, denke ich. Wichtig war es, die Ärztin zu fragen. Wegen Josef. Einatmen und Ausatmen.

Ich gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Decke den Frühstückstisch. Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Sagt, sie ist glücklich. Endlich hat sie eine Katze. Endlich haben wir sie nicht vertröstet. Endlich musste sie nicht verzichten, denke ich. Ich küsse sie auf ihren Kopf.

Uli setzt sich zu Klara. Ich gehe in Josefs Zimmer. Er schläft noch. Mein Josef schläft. Die Schwester steht an seinem Bett. Gibt ihm Tee. Medikamente. Über den Bauchschlauch. Herzfrequenz 120. Sauerstoffsättigung 97.

Ich frage nach der Nacht. Josef war oft wach, sagt sie. Hatte eine erschwerte Atmung. Sie hat ihn extra inhaliert. Cortison gegeben. Viel zähes Sekret. Kein Fieber. Keine sichtbaren Krämpfe, sagt die Schwester. Okay, sage ich. Okay.

Einatmen und Ausatmen. Klara geht los. Los in die Schule. Ich winke ihr. Bis ich sie nicht mehr sehe. Die Schwester räumt. Spült. Wechselt aus. Zieht auf. Verabschiedet sich. Schlaf gut. Danke.

Josef wird wach. Seine Atmung ist angestrengt. Zieht. Ich nehme ihn aus seinem Bett. Küsse ihn. Inhaliere. Uli saugt Josef vorsichtig ab. Ich lege mir Josef über die Knie. Helfe ihm beim Atmen. Küsse ihn immer wieder. Seine Atmung zieht. Ich inhaliere ihn noch einmal. Uli saugt Josef ab.

Es klingelt. Die Schwester. Ich kenne sie nicht. Sie ist als Springer bei uns. Ich frage sie, was sie weiß. Was sie braucht für ihren Dienst. Heute bei uns. Sie erzählt. Kurz. Die Diagnosen. Sonst hofft sie auf uns. Weiß, dass wir da sind. Okay, sage ich. Okay. Erzähle. Von Josef. Auf was heute zu achten ist. Erzähle nicht seine ganze Geschichte. Zu oft erzählt.

Frage mich bitte, sage ich. Bitte, Frage. Ja, sagt sie. Mache ich. Ich ziehe Josef vorsichtig um. Ganz vorsichtig. Küsse ihn. Seinen Bauch. Seine Brust. Seine Hände. Füße. Nehme ihn auf den Arm. Gebe Josef der Schwester. Damit sie ein Gefühl bekommt. Für ihn.

Schon wieder neue Hände. Schon wieder ein neuer Mensch. In deinem Leben, mein Josef. In unserem Leben. In unserem Zuhause. Ein neuer Mensch.

Ich bin distanziert. Keinen Platz. Innerlich für neue Menschen. Die morgen nicht mehr da sind. Nie wiederkommen werden. Die Schwester hält Josef. Ich zeige ihr, wie es gut für Josef ist. Erkläre. Konzentriere mich. Es kostet mich Energie. Kraft.

Uli macht sich in der Wohnung zu schaffen. Die Katze. Immer noch unter dem Bücherregal im Schlafzimmer. Ich gebe Josef seinen Morgenbrei. Inhalation. Absaugen. Küsse. Josef schlummert ein. Ich lege ihn in sein Bett. Gehe aus dem Zimmer. Sage, sie soll mich bitte rufen, wenn Josef wach wird. Einatmen und Ausatmen.

Das Telefon klingelt. Die Pflegedienstleitung. Sagt, sie hat gehört, wir haben eine Katze. Ja, sage ich. Seit gestern. Wieso? Unsere Haupttagschwester hat eine Katzenallergie. Wir hätten fragen sollen. Einatmen und Ausatmen.

Ich sage. Die Katze wird nur im Schlafzimmer und in Klaras Zimmer sein. Nicht bei Josef und in der Wohnküche. Die Schwester hat eine starke Katzenallergie, sagt sie. Mir laufen Tränen. Kann sie es bitte versuchen, sage ich. Wenn es nicht geht, dann geben wir die Katze wieder ab. Versprechen kann sie nichts, sagt die Pflegedienstleitung. Gut, sage ich. Gut. Bis dann.

Ich stehe da. Stehe da. Denke. An Klara. Ihren Wunsch. Denke, wie absurd es ist. Um Erlaubnis zu fragen. Es ist unsere Wohnung. Unser Leben. Oder nicht? Oder nicht mehr? Schon lange nicht mehr? Müssen wir uns noch mehr anpassen?

Und wer weiß, wie lange die Haupttagschwester überhaupt bei uns sein wird? Vielleicht kommt sie irgendwann aus anderen Gründen nicht mehr? Wer weiß? Wir haben es nicht in der Hand. Haben es nicht. Fühle mich machtlos. Ohne Macht. Einatmen und Ausatmen.

Der Tag. Ich bin bei Josef. Die Schwester dabei. Reicht mir die Dinge. Spritzen. Katheter. Inhalette. Uli holt Klara vom Hort. Wir erzählen ihr nicht davon. Von dem Telefonat. Die Katze. Kommt langsam hervor. Klara ist glücklich. Kuschelt mit der kleinen winzigen Katze.

Wir essen Abendbrot. Brot. Kinderfernsehen. Ich bringe Klara ins Bett. Lese ihr vor. Mache das Hörspiel an. Josef schläft auf Uli. Vater und Sohn. Bauch an Bauch.

Um 21.30 Uhr klingelt es. Die Schwester. Uli legt Josef in sein Bett. Herzfrequenz 110. Sauerstoffsättigung 97. Wir gehen ins Bett. Die Katze liegt unter dem Bücherregal. Wir schlafen. Irgendwann.

Zuletzt aktualisiert am: 29.05.2021


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