, Kinderhospiz

Um 7.00 Uhr werde ich von Klara geweckt. Sie fragt, ob sie fernsehen darf. Ja, sage ich. Ja. Aber leise. Ich bleibe noch etwas liegen. Genieße das warme Bett. Draußen ist es grau. Herbstgrau. Uli wird vom Fernseher wach.

Wir liegen eine Weile zusammen. Es fühlt sich an wie früher. Bevor Josef da war. Mein Herz schmerzt. Ein Stich. Dieses Gefühl von Früher. Das Gefühl ohne Josef zu sein. Einatmen und Ausatmen.

Ich stehe auf. Gehe ins Bad. Wasche mich. Uli steht auf. Wir gehen in den Gemeinschaftsraum. Holen uns einen Kaffee. Heute ist mehr los. In der Küche wird das Frühstück vorbereitet. Das Radio läuft. Wir gehen zu Josef. Den Gang entlang. Rechts.

Josef schläft. Mein Josef schläft. Herzfrequenz 109. Sauerstoffsättigung 98. Ich streichele seinen schönen Kopf. Seine schönen Locken. Mein Lockenkopf. Wir setzen uns zu ihm. Trinken unseren Kaffee.

Reden. Ganz leise reden wir. Über die Pflegedienstschwester. Gestern. Sie wird noch einmal kommen. Was machen wir mit ihr? Wenn sie nicht bereit ist, Josef besser kennenzulernen. Sich auf ihn einzulassen. Was machen wir dann? Das entscheiden wir, sagt Uli. Wenn es soweit ist, entscheiden wir. Einatmen und Ausatmen.

Die Schwester kommt. Sagt, guten Morgen. Die Nacht war entspannt. Fragt, ob wir Josef baden wollen. Ja, sage ich. Nachher. Ausschlafen soll er, mein Josef. Sie lächelt. Sagt, sie geht zu einem anderen Gast. Ob das in Ordnung für uns ist. Ja, sagt Uli. Klar, sagt er auch.

Josef wird wach. Ich nehme ihn vorsichtig aus seinem Bett. Küsse ihn. Küsse ihn noch einmal. Uli bereitet die Inhalette vor. Inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Als wäre es das Normalste auf der Welt. Ich lasse das Wasser in die Wanne. Ziehe Josef langsam aus. Uli lässt Josef in die Wanne gleiten.

Nimmt ihn aus dem Wasser. Ich trockne meinen Josef vorsichtig ab. Küsse ihn. Öle Josef vorsichtig ein. Ziehe ihn an. Wir gehen in den Gemeinschaftsraum. Uli holt Klara. Nach und nach werden die Gäste gebracht. Die Schwestern kommen. Pfleger. Eltern. Ich gebe Josef vorsichtig seinen Morgenbrei. Medikamente. Tee. Die Therapeuten vereinbaren Termine mit den Gästen.

Heute Vormittag wollen wir spazieren. Mit Josef und Klara. Eine kleine Runde. Eine Familienrunde. Klara möchte erst nicht. Kommt dann doch mit. Uli packt die Absauge in den Kinderwagenkorb. Ich ziehe Josef einen Anzug an. Es ist ja Herbst. Decke ihn zu. Meinen Josef.

Wir fahren mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss und laufen los. Einmal um das Kinderhospiz. Meine Aufmerksamkeit ist immer auf Josef gerichtet. Die ganze Zeit. Immer auf Josef. Klara hüpft und springt. Ich nehme ihre Hand. Umarme sie. Ach, Klara, sage ich. Ach Mama, sagt Klara. Fragt, ob wir wieder zurückgehen können. Sie möchte mit den anderen Kindern spielen. Ja, sage ich. Ja.

Im Kinderhospiz. Klara ist verschwunden. Im Jugendzimmer. Spielt mit den Kindern. Wie glücklich sie ist. Wir dürfen sie nicht aus den Augen verlieren, Uli. Unsere Klara. Ihre Wünsche müssen wir ernst nehmen. Vor lauter Josefaufmerksamkeit dürfen wir sie nicht verlieren, Uli. Wir umarmen uns. Josef schläft. Herzfrequenz 112. Sauerstoffsättigung 97.

Am Nachmittag kommen die Klinikclowns. Sie singen und tanzen mit den Kindern durch die Zimmer. Welch eine Freude. Unser Josef ist bei uns. Uli hält ihn. Dann ich.

Eine Schwester kommt. Vom Pflegedienst. Ich freue mich, sie zu sehen. Sie sich auch. Sagt, sie ist aufgeregt. Gespannt darauf, was sie alles lernen wird. Ich stelle sie der Spätdienstschwester vor. Gebe ihnen meinen Josef. Das ist in Ordnung heute. Für mich.

Zum Abendbrot treffen wir uns im Gemeinschaftsraum. Es ist ungewohnt, Josef nicht direkt bei mir zu haben. Heute ist es in Ordnung. Es gibt Pizza. Heute. Wir sitzen lange im Gemeinschaftsraum. Reden mit Eltern. Wagen es. Fragen zu stellen. Zu erzählen. Stellen fest. Vieles ähnelt sich. Vieles ist ganz anders.

Das Gefühl von Ohnmacht kennen alle. Alle Eltern heute im Gemeinschaftsraum. Wir sprechen lange über unsere Erfahrungen mit Pflegediensten. Das Gefühl, wenn kein Dienst kommt. Das Gefühl, nicht vertrauen zu können. Das Gefühl von Ohnmacht. Das gute Gefühl, wenn engagierte Schwestern da sind. Einatmen und Ausatmen.

Klara schaut mit den Geschwisterkindern einen Film im Jugendzimmer. Wir gehen zu ihnen. Schauen etwas mit. Gehen zu Josef. Er schläft. Die Schwester vom Pflegedienst ist noch da. Sagt, sie hat viel gelernt. Heute. Nächste Woche kommt sie noch einmal. Schön. Gut, sage ich. Danke, sage ich auch. Dann fährt sie durch die Nacht nach Hause.

Mit Klara zusammen gehen wir ins Elternzimmer. Uli liest Klara vor. Sie schläft gleich ein. Irgendwann schlafe auch ich.

Zuletzt aktualisiert am: 29.09.2020


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