, Kinderhospiz
Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker. Ich schalte ihn aus. Die Katze liegt auf Ulis Sachen. Sie schaut mich an. Ich nehme sie kaum wahr. Habe keinen Platz für sie in mir.
Ich stehe auf. Gehe in die Wohnküche. Setze Wasser auf. Für Tee. Kaffee. Decke den Frühstückstisch. Gehe ins Bad. Wasche mich. Kaltes Wasser in meinem Gesicht. Klara kommt. Kuschelt sich an mich. Ich küsse sie. Auf ihren Kopf.
Wir gehen in die Wohnküche. Klar setzt sich an den Tisch. Isst. Uli setzt sich zu ihr. Ich gehe in Josefs Zimmer. Öffne das Fenster. Meine Hand gleitet über sein Bett. In fünf Tagen kommt Josef nach Hause. In fünf Tagen.
Zusammen gehen wir los. Klara in die Schule. Uli und ich ins Kinderhospiz. Zu Josef. Er ist wach. Liegt im Arm der Schwester. Wird inhaliert. Die Nacht war ohne Besonderheiten, sagt sie. Gut, sage ich. Gut.
Ich nehme Josef. Sein Kopf liegt auf meiner Schulter. Als würde er sich an mich kuscheln. Ich küsse ihn. Josef, mein Josef. Uli lässt das Wasser in die Wanne laufen. Ich ziehe Josef vorsichtig aus. Uli badet ihn. Ich trockne ihn ab. Meinen Josef.
Uli saugt Josef ab. Ich küsse ihn. Öle Josef ein. Ziehe ihn an. Wir gehen in den Gemeinschaftsraum. Gäste kommen. Schwestern. Pfleger. Eltern. Piepen. Rauschen. Klopfen. Die Therapeuten schwärmen aus.
Um 10.30 Uhr kommt die Logopädin. Ich freue mich. Josef sitzt in seinem Therapiestuhl. Sie begrüßt ihn. Berührt seine Füße, Beine, Arme und Hände. Arbeitet sich bis zu seinem Mund vor. Josef reagiert nicht. Du musst nicht, mein Josef. Du musst nicht. Du musst nicht müssen. Sie verabschiedet sich.
Josef wird von Uli inhaliert. Abgesaugt. Wir gehen mit ihm in den Garten. Josef schläft. Schläft. Schläft.
Der Orthotechniker kommt. Die Orthesen werden angepasst. Er ist bedacht. Mit Josef. Mit uns. Ganz ruhig. Sagt, er macht sie fertig. Die Orthesen. In zwei Wochen kommt er wieder. Gut, sagt Uli. Gut.
Josef schläft. Schläft. Schläft. Ich hole Klara ab. Von der Schule. Wir fahren in die Stadt. Herbstsachen kaufen. Für sie. Für Josef. Uli bleibt im Kinderhospiz. Hält es gut aus. Dort. Im Garten oder Gemeinschaftsraum. Mit Josef.
Klara sucht sich eine Jacke aus. Eine Mütze und ein Schal. Mit Glitzer. Auch einen Glitzerrock. Für Josef kaufe ich einen blauen Wollanzug.
Die Frau an der Kasse sagt, nehmen sie ihn ruhig eine Größe größer. Damit er auch nächstes Jahr noch passt. Sie erklärt. Lang und breit. Sagt, man kann an den Armen und Beinen umkrempeln. Das Kind hat genug Bewegungsfreiheit. Wächst in den Anzug rein.
Sie hört nicht mehr auf. Mir laufen Tränen. Innerlich. Äußerlich lächele ich. Kaufe den Anzug größer. Möchte, das sie aufhört. Schnell. In einem anderen Laden kaufe ich eine Jacke. Eine Wollhose. Eine Streifenmütze. Mit grünen und braunen Streifen. Ich bin erschöpft. Schmerzhaft erschöpft. Fühle mich leer. Schmerzhaft leer.
Im Kinderhospiz. Klara führt ihre Sachen vor. Ist stolz. Möchte am liebsten morgen schon alles anziehen. Es ist noch zu warm für deine Sachen, sage ich. Klara ist traurig.
Josef schläft. Ich setze ihm vorsichtig seine Mütze auf. Sie passt. Ich freue mich. Küsse ihn. Hoffe auf den Herbst. Mit Josef. Da ist sie wieder. Die Hoffnung.
Der Einzelfallhelfer kommt. Wir freuen uns. Er begrüßt Josef. Möchte gern mit ihm spazieren. Wir gehen zusammen. Josef in seinem Rehabuggy. Schläft. Schwebt und schläft. Es ist mild heute. Spätsommer. Ein goldener Spätsommer. Nach zwei Stunden verabschiedet er sich. Er tat gut. Tat uns gut.
Zurück. Im Kinderhospiz. Ich nehme Josef aus dem Rehabuggy. Setze mich in den Gemeinschaftsraum. Auf den großen Sessel. Lege Josef auf meine Brust. Wir atmen. Nicht zusammen. Jeder für sich.
Ich schäme mich. Weil ich der Verkäuferin nicht gesagt habe, dass mein Kind sich nicht bewegen kann. Ich nicht weiß, ob mein Josef nächstes Jahr noch leben wird. Der Anzug jetzt passen muss.
Ich schäme mich. Habe das Gefühl, Josef verraten zu haben. Mir laufen Tränen. Ich schäme mich. Dafür. Und dann. Habe ich keine Kraft dafür. Gerade. Für die Betroffenheit der Anderen. Schon aufgebraucht. Meine Energie dafür. In dieser Woche. Mein Trostkontingent ist schon aufgebraucht.
Wir essen Abendbrot. Im Gemeinschaftsraum. Josef in meinem Arm. Ich gebe ihm seinen Abendbrei. Tee. Medikamente. Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Geht mit Klara nach Hause.
Ich bleibe noch. Bei Josef. Lege ihn in sein Bett. Gebe der Schwester Bescheid.
Zu Hause. Klara schläft schon. Uli und ich. Wir schauen fern. Gehen ins Bett. Schlaf.
Zuletzt aktualisiert am: 24.12.2019