, Zu Hause 2

(Die Veröffentlichung der Ansprache für Josef erfolgt mit freundlicher Genehmigung unserer Seelsorgerin, die sie verfasst hat. Herzlichen Dank dafür.)

Der Bibelspruch für Josefs Trauerfeier war: „Haltet mich nicht auf, denn Gott hat Gnade gegeben zu meiner Reise.“ 1. Mose 24, 56

Liebe Anne und lieber Uli Neustadt, liebe Klara, liebe Trauergemeinde,
über Josefs Wickeltisch hängt ein Bild, gemalt und geschrieben von seiner Schwester Klara. Darauf steht in Spiegelschrift „JOSEF“. Josef, in deren Leben sich euer Leben gespiegelt hat. Josef, der mit seinem Leben anderen Menschen einen Spiegel vorgehalten hat über das, was wirklich wichtig ist im Leben.

Josef, der seine Eltern und seine Schwester, der Ärzte und Pflegende herausgefordert hat tiefer zu sehen, genauer hinzuschauen um – quasi wie in einem Spiegel – Josef zu erkennen: Seine Bedürfnisse, sein Vermögen, seiner Grenzen, seine Schönheit und Zartheit, sein Da-sein, einfach: Sein Leben.
Josef war ein besonderes Kind, ein kleiner Junge, der euch mit all eurer Kraft und Liebe herausgefordert hat, ihn anzunehmen wie er ist, für ihn da zu sein, ihn zu begleiten auf seiner beschwerlichen Lebensreise und für seine Würde um eine gute Versorgung zu kämpfen.

Dabei sollte es eigentlich so einfach und so normal wie mit Klara sein, heiter, leicht und schön. Es gab ja bei Josef bis zur Geburt keinen Grund zur Sorge um ihn. Die Schwangerschaft mit ihm war normal und unkompliziert und die Geburt sollte es auch werden. Und doch ist unter Stunden oder Minuten der Geburt Josef offensichtlich nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt worden, so dass er sofort nach der Geburt wiederbelebt werden musste. Sein Zustand war dramatisch, doch er überlebte diese schwere Krise.

Damals wurde euer Leben erschüttert und alles wurde auf den Kopf gestellt. Ihr habt damals nicht nur um sein Leben gebangt sondern um ihn gekämpft und euch entschieden, den Weg mit Josef in ein unbekanntes Land zu gehen, ihn auf seiner Lebensreise zu begleiten, mit einem völlig anderen Ziel. Was sonst ein Kind kann, konnte Josef nicht: Nicht schlucken und die Augen schließen, wenn er müde wurde. Er würde nicht hören und sehen können, nicht sprechen und laufen lernen.

Aber er war da in den Dezembertagen 2013. Er atmete allein, nachdem die Maschine ausgeschaltet wurde, und war angewiesen auf die Liebe und Fürsorge seiner Eltern, auf eure Liebe und Fürsorge! Das war wichtig: Ihn anzunehmen, ihn zu begleiten und ihn zu lieben. „Er wollte bei uns sein und etwas zeigen“ – so habt ihr es selber formuliert.

Damals, am Anfang seines Lebens habt ihr Josef auf der Neo-IT nicht nur den Ärzten und Pflegenden anvertraut, sondern auch Gott ans Herz gelegt und ihn taufen lassen. Viele nahmen am 3. Advent Anteil und ich sehe noch vor mir, wie ihr Josef im Arm hieltet und ihm und uns bei der Taufe Trost und Kraft gegeben wurde.

Das Bibelwort dass ihr damals für Josef ausgesucht haben war: „Ich liege und schlafe ganz mit Frieden, denn du allein, Herr, hilfst mir, dass ich sicher wohne“ (Psalm 4, Vers 9). In diesem Taufspruch war all Eure Hoffnung enthalten für die Lebensreise von Josef, von der damals niemand wusste, wie lang oder kurz, wie leicht oder schwer sie sein würde.

Damals sangen wir auch ein Lied, das du, Klara so mochtest, das Lied: „Gott hält die ganze Welt in seiner Hand“, das wir heute, nachher am Grab, noch einmal gemeinsam singen wollen.

3 Wochen später seid ihr mit Josef nach Hause gegangen, habt euer Leben nach der dramatischen Lebenswende bei Josefs Geburt neu – und dann immer wieder neu – organisiert, euch im Kinderhospiz die notwendige Unterstützung geholt und in den 22 Monaten, in denen Josef bei euch lebte, mit vielen Pflegkräften gearbeitet.

Nicht alle Menschen wurden Josef gerecht und Wege trennten sich wieder. Für euren Sohn die beste Unterstützung zu bekommen, nämlich eine, die seine und eure Lebenssituation würdigt und respektiert, das war euch wichtig. Dafür habt ihr sehr viel getan, manchmal bis an die Grenzen eurer Kraft und weit darüber hinaus.

„Nehmt mich an“ – so würde Josef es selber sagen, „nehmt euch meiner an in Liebe“! Das habt ihr gewollt und getan. So habt ihr euch mit Josef als Familie auf eine gemeinsame Reise gemacht, die in Zeiten, wenn es Josef schlecht ging und er zu wenig Luft bekam, keine Sicht auf das Morgen lies. Was hinter der nächsten Kurve kam, war nicht zu sehen. Ging es aufwärts oder wieder abwärts – und was hieß eigentlich „aufwärts“ und „abwärts“ – oder ging es vielleicht erst mal ein Stück nur geradeaus?

Diese Reise hat euch in ein fremdes, euch unbekanntes Land geführt, der Weg oft im Nebel verborgen, so manches in Spiegelschrift geschrieben, erst zu entziffern, zu übertragen, damit umzugehen, anzunehmen. Ihr selbst habt das Leben von Josef mit dem Bild der Reise verglichen, einer Reise in Serpentinen, einer Reise auf einen Berg. Das Bild des Berges, an dessen Gipfel das Ziel erreicht ist, nimmt auch auf, dass ihr immer wusstet, wohin Josefs Lebensreise – wie im Grunde alle Lebensreisen - führen wird: Sein Leben war begrenzt, sein Sterben Gewissheit. Josef konnte zwar atmen, doch auch das fiel ihm zunehmend schwer. Das konnten alle sehen und ja auch hören. Und immer wieder, zunehmend öfter ging es Josef schlecht.

Aus ein wenig Entfernung sieht es so aus, als hättet ihr und viele andere an Josefs Seite nur gegeben. Und doch habt ihr die Zeit mit eurem Josef anders erlebt. Denn Josef hat euch mit seinem Leben gezeigt „Im Hier und Jetzt zu sein“, anzunehmen was ist. Auf eine besondere, tiefe Weise wart ihr mit Josef und er mit euch verbunden.

Er hat euch vertraut. Er hat euch gefordert. Er hat erprobt, ob ihr letztlich die Kraft haben werdet, zuletzt bei ihm zu sein. Er hat euch so viel gezeigt und gelehrt. Ihr konntet „hören“, was er euch „sagen“ wollte – auf ganz besondere Weise, ihn fühlen, ihn halten, ihn sehen, ihn hören, ihn riechen. An einem schönen Sommertag habt ihr ihm die Ostsee gezeigt, seid einfach losgefahren. Habt dort seine kleinen Füße in das kalte salzige Wasser gehalten, Klara konnte im Sand buddeln, ihr konntet den Wind spüren und im Kommen und Gehen der Wellen auch seinen Atem hören.

Dort, an der Ostsee, gibt es seit ein paar Tagen einen großen bemalten Stein. „Josef“ steht darauf geschrieben. Ein Stein für Josef an einem Ort, an dem sich im Kommen und Gehen der Wellen Josefs Leben, sein Atem wiederfinden lässt, der Wind einen tröstlich streichelt oder kräftig durchpustet, das salzig kalte Wasser erschreckt und erfrischt, die Sonne an vielen Tagen wärmt. Ein Stein für Josef: Für sein Kommen und Gehen, für sein kostbares, kurzes-langes Leben.

Josef hat euch am Ende ein Geschenk gemacht. Er starb bei und mit euch. Allein wart ihr zu Hause, wusstet, was kommt und waren bereit dafür. „Jetzt müsst ihr mich nicht mehr festhalten“ – hat er euch signalisiert. Das gemeinsam erkennen können, das gemeinsam zu erleben, macht euch sehr glücklich, auch wenn es bedeutet, nun ohne ihn leben zu müssen.

Ihr könnt heute sagen: „Wir vertrauen dem Leben, Josef hat es uns gezeigt“. So liegt in aller Müdigkeit etwas Schönes und Tröstliches, eine Begeisterung über ein Kind, das mit seinem kurzen und schweren Leben euch, seine Eltern und seine Schwester und mit ihnen viele Menschen bewegt, berührt und verändert hat.

„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ (1. Korinther 13, 12)

Josef ist nun angekommen. Er hat den Berggipfel erreicht, wo sich Himmel und Erde berühren. Er ist bei dort, wo das, was für uns noch im Dunkel liegt, klar ist. Josef ist bei Gott, der seinen Segen zu seiner letzten Reise gegeben hat.

Amen.

Zuletzt aktualisiert am: 21.10.2019


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