30.01.2018
Bei Gelegenheit werde ich nachfragen. Nicht sofort. Ich habe das Gefühl, es wird von der Pflegedienstleitung nicht gewünscht. Dieses Nachfragen und der Wunsch nach Klarheit.
31.01.2018
Uli steht auch auf. Heute muss er früh los. Er arbeitet. Das erste Mal seit der Geburt von Josef. Heute werde ich früh mit Josef allein sein. Bis die Physiotherapeutin und meine Hebamme kommen. Es wird schon gehen.
01.02.2018
Wir fahren in ein nah gelegenes Einkaufscenter. Ich hoffe inständig, dass wir niemanden treffen, den wir kennen. Ich habe keine Kraft für Gespräche außerhalb unserer Familienwelt.
02.02.2018
Heute, lieber Josef, heute bleiben wir lange im Schlafanzug. Heute kommt keiner zu Besuch! Wir gehen zu Klara ins Schlafzimmer. Josef ist aber mit seiner Atmung eindeutig zu laut, so dass wir Klara lieber allein lassen.
03.02.2018
Ich sehe die Schwester am Wickeltisch stehen. Josef liegt auf dem Wickeltisch. Sie hat den Ambubeutel in der Hand und stößt Luft in Josefs Lunge. Als sie mich sieht, sagt sie, ich habe alles im Griff. Es ist alles gut. Ich gehe zu Josef und nehme ihn in den Arm.
04.02.2018
Die Physiotherapeutin schlägt vor, morgen wieder zu kommen. Extra Atemtherapie mit Josef zu machen. Sie hänge uns einfach hinten an ihre Terminplanung. Um das Rezept kümmert sie sich. Josef braucht die Atemtherapie, sagt sie.
05.02.2018
Die Physiotherapeutin berührt ihn vorsichtig, streicht an den Rippenbögen entlang, schüttelt an den Armen. Sie erklärt alles. Spricht mit Josef. So liebevoll. Es ist gut, das sie da ist.
06.02.2018
Als ich mit dem Abpumpen fertig bin, setze ich mich mit Josef wieder ins Wohnzimmer. Ich halte ihn und flüstere ihm Geschichten ins Ohr. Streichele seinen wunderschön geformten Kopf. Ich inhaliere ihn.
07.02.2018
Was wissen sie denn über Josef, frage ich. Naja, sagt sie. Sie wurde gefragt, ob sie für eine kurze Zeit zu uns kommt. Es sich zutraut, mit einem sterbenden Kind. Sie hat gesagt, sie macht es.
08.02.2018
Wir berichten vom Tag. Von der Müdigkeit. Vermessen von uns? Von der Müdigkeit zu sprechen? Nein, sagt sie. Nein. Müde wird man. Das glaubt sie uns.
09.02.2018
Wir haben einen Plan. Vielleicht können wir etwas an der Unerträglichkeit der Pflegesituation ändern? Vielleicht? An dem Gefühl, ausgeliefert zu sein? Der Nichplanbarkeit? Etwas tun. Das fühlt sich gut an.
10.02.2018
Sie hört zu. Das Zuhören tut gut. Sie meint, entscheiden sie nach ihrem Gefühl. Hören sie sich den anderen Pflegedienst an. Dann entscheiden sie. Gut. Danke für das Zuhören.
11.02.2018
Wir lachen, als ich Josef nachahme. Ganz ohne Nachdenken mache ich das. So wie jede Mutter ihr Baby nachahmt. Meine Freundin lacht und sagt: die Spiegelneuronen funktionieren gut. Wir lachen laut und mir laufen die Tränen dabei.
12.02.2018
Als wir draußen sind, ruft Uli bei der Pflegdienstleitung an. Fragt, warum wird dieser Pfleger so oft eingesetzt? Warum? Wir halten den Pfleger nicht aus. Die Antwort: Seien sie froh, dass überhaupt jemand zu ihnen kommt.
13.02.2018
Dann erzählen wir. Sie fragt uns detailliert nach dem Tagesablauf. Wir erzählen. Alles ist anders. So anders. Als mit einem gesunden Kind. Wir geben Minuten und Stunden an, die wir mehr brauchen, als für ein gesunden Josef.
14.02.2018
Josef in meinem Arm bei Klara im Zimmer. Das fühlt sich gut an. Klara stellt allerdings eine Bedingung. Josef darf keinen Schnodder (Sekret) in ihr Bett machen. Ich passe auf, liebe Klara.
15.02.2018
Es macht keinen Sinn. Diese Gedankenkreise. Wir überlegen, dass wir die Bestellung von den Medikamenten und Heilmitteln übernehmen werden. Uli verschafft sich einen Überblick, schreibt Listen.
16.02.2018
Die Nachbarin im Haus an der Ecke arbeitet im Garten. Wir grüßen. Sie grüßt zurück. Ihr laufen Tränen über die Wangen. Sie zeigt, sie kann nicht reden. Gut. Wir gehen weiter.
17.02.2018
Wir möchten ein gutes Leben mit Josef haben. Solange wie er bei uns ist, soll es gut sein. Für uns alle. Verstehen Sie das? Es ist unser Zuhause. Es ist uns wichtig, dass sie das mittragen. Ja, das verstehen wir. Sagen Beide.
18.02.2018
Ich fühle mich benommen. Hat Josef wieder einen Infekt? Geht es wieder los mit dem Inhalieren? Haben wir nicht gut genug aufgepasst? Geht das überhaupt? Können wir gut genug aufpassen?
19.02.2018
Uli bei Josef. Ich am Telefon. Ich rufe den Krankenkassenmann an. Er ist nicht da. Ach bitte, legen sie ihm einen Zettel hin. Wir werden den Pflegedienst wechseln. Dann weiß er Bescheid. Gut.
20.02.2018
Josef macht es sehr gut. Es ist so schön, ihn so zu spüren. Ihn ganz dicht an meinem Körper tragen zu können. Wir gehen noch kurz in die Apotheke und geben die Rezepte ab. Stellen Josef vor. Hier, unser Josef.
21.02.2018
Dann erzähle ich die Geschichte von Josef. Der Pfleger hört zu. Sagt, es ist schön, Josef kennenzulernen. Darüber freue ich mich. Dass er Josef sieht und nicht nur seine Diagnosen.
22.02.2018
Wir sprechen mit der PDL. Sagen, dass es mit dem einen Pfleger nicht geht. Es geht nicht um mangelnde Fachlichkeit, sondern um das Zwischenmenschliche. Sie haben doch gesagt, wir dürfen ihnen das sagen.
23.02.2018
In den Pausen rufe ich sofort zu Hause an. Alles gut, versichert mir Uli. Alles gut, Anne, sagt er. Gut, sage ich. Dann pumpe ich in jeder Pause Milch ab. Eine Kollegin pumpt auch.
24.02.2018
Die Erzieherin sagt, es ist alles gut mit Klara. Man merkt ihr gar nichts an. Am liebsten würde ich fragen, woran sollte man bei Klara denn was merken? Wird erwartet, dass sie ständig weint? Oder was?
25.02.2018
Es schmerzt mich. Der Verlust schmerzt. Der Verlust der Normalität. So gern würde ich dazu gehören. Mit einem gesunden Josef. Würde so gern meinen Josef stillen. So gern, so gern, so gern.
26.02.2018
Josef entspannt sich im warmen Wasser. Wie schön das ist. Mein Josef, du sollest es schön haben. Ein schönes Leben, sollst du haben. Das ist unsere Aufgabe, denke ich. So schön wie möglich.
27.02.2018
Die Pflegedienstleitung klingt wütend und wirft mir vor, dass wir unfair sind. Dass wir froh sein können, dass überhaupt jemand kommt. Hätte sie gewusst das wir so undankbar sind, dann hätten sie lieber anderen Eltern geholfen.
28.02.2018
Tatsächlich reden wir. Sie fragt, ob wir nicht bei dem Pflegedienst bleiben wollen. Ich sage, nein. Es geht nicht. Es ist so viel vorgefallen. Mein Vertrauen ist erschüttert.