Wir feiern zusammen mit Josef. Mit Gästen. Kuchen. Feuerwerk. Josef ist bei uns. Den ganzen Monat bei uns.
30.06.2018
Ich gehe wieder ins Wohnzimmer. Frage die Schwester nach der Nacht. Sie sagt, Josef war sehr unruhig. Die Vitalwerte schwankten sehr. Ab 4.00 Uhr brauchte Josef kein Sauerstoff mehr. Nun schläft er.
01.07.2018
Wir hatten es uns vorgenommen. Zusammen mit Josef Pizza essen gehen. Wie schön das wäre, dachten wir. Für uns. Vielleicht wäre es für uns schön. Für Josef wahrscheinlich nicht.
02.07.2018
Urlaub. So fremd der Gedanke an Urlaub. Vielleicht gehen wir für ein paar Tage ins Kinderhospiz. Urlaub. Im Kinderhospiz. Mit Josef. Wir wissen es nicht, sage ich. Wissen einfach nicht. Wie dieser Sommer sein wird. Können nicht planen.
03.07.2018
Plötzlich stehen ihr Tränen in den Augen. Sie sagt, so etwas Schlimmes habe ich noch nie gesehen. In mir steht alles still. Ihr laufen die Tränen. Am liebsten würde ich schreien. Laut schreien. Josef ist mein Kind. Er ist nichts „Schlimmes“.
04.07.2018
Zusammen sitzen wir auf der Terrasse. Haben eine Schüssel mit kaltem Wasser. Für die heißen Füße. Ich halte Josefs Füße ins Wasser. Er reagiert nicht. Du musst nicht Josef. Du musst gar nichts. Ich halte ihn. Küsse ihn.
05.07.2018
Es gehört ja dazu. Zu unserem Leben mit Josef. Das Inhalieren. Das Absaugen. Medikamente geben. Nahrung durch den Nasenschlauch. Das gehört dazu. Zu unserem Leben mit Josef.
06.07.2018
Bekannte. Kommen in unsere Wohnung. Wollten mal schauen. Uli bietet Getränke an. Dann sagt der Bekannte: Wäre es nicht besser, Josef wäre tot. Das ist doch kein Leben. Für Josef und uns. Mir schnürt es den Hals zu. Sage, nein, es wäre nicht besser.
07.07.2018
Ich rufe beim SAPV-Team an. Erzähle von den Übergriffen. Dass wir nicht wissen, was wir tun sollen. Wenn die Schwester nicht mehr kommt, können wir nicht mehr zu Hause bleiben. Müssen woandershin. Wo sollen wir denn hin?
08.07.2018
Dann sagt die Osteopathin, ich spüre so viel Leben in Josef. In Josef ist so viel Leben. Mir laufen Tränen. Weil es so schön ist. In Josef ist so viel Leben. Wir vereinbaren einen neuen Termin.
09.07.2018
Klara schläft ein. Ich bleibe noch liegen. Bei ihr. Dann stehe ich auf. Mache kein Hörspiel an. Josef liegt auf Uli. Ganz entspannt. Sohn und Vater. Bauch an Bauch. Wie schön.
10.07.2018
Liebste Klara, wir sind stolz auf dich. Nun sind Ferien. Deine erste Sommerferien. Wie werden sie sein? Wir wissen es nicht. Können nicht planen. Nichts planen.
11.07.2018
Ich sitze mit Klara in der Küche. Josef in meinem Arm. Es ist schön. Fühlt sich für einen Moment ganz normal an. Ganz normal. Wäre da nicht die Nasensonde. Wäre da nicht. Wäre da nicht. Ist aber nicht.
12.07.2018
Im Zug. Es sind wenig Menschen im Zug. Ich bin froh darum. Schaue aus dem Fenster. Sehe die Welt an mir vorbeifliegen. Da fliegt sie. Die Welt. An mir vorbei. Als hättte sie nichts mehr mit mir zu tun. Diese Welt.
13.07.2018
Wir gehen noch ein Eis essen. Klara Vanille. Uli Erdbeere. Ich Schoko. Dann fahren wir nach Hause. Wir allein im Auto. Nur wir drei. Es fühlt sich merkwürdig an. Ohne Josef.
14.07.2018
Josef ist eingeschlafen. Ich lege ihn in sein Bett. Herzfrequenz 133. Sauerstoffsättigung 93.
15.07.2018
Deshalb habe ich keinen Appetit, denke ich. Deshalb. Weil ich so satt bin. Von den vielen Menschen in unserer Wohnung.
16.07.2018
Um 13.00 Uhr klingelt ihr Telefon. Der Arzt, sagt die Schwester. Sie wird blass. Noch blasser. Sie legt auf. Sagt, es ist nicht gut. Soll ins Krankenhaus. Sofort. Sie ruft ihren Mann an. Er soll sie abholen. Sofort. Ich halte Josef.
17.07.2018
Aus Klaras Zimmer höre ich es laut lachen. Es ist schön. So schön. Vielleicht ist es nicht so schlimm, denke ich. Dass es anders ist mit Klara, als ich mir gewünscht habe. Das sie schneller größer wird.
18.07.2018
Heute erzählen wir. Die Schwester und ich. Sie erzählt von ihrem Kummer. Von Krankheiten in der Familie. Dann sagt sie, sie fühlt sich wohl bei uns. Darüber freue ich mich. Denke dann. Denke dann und schäme mich, es zu denken.
19.07.2018
Josefs Augen sind halb geöffnet. Ich sehe die Augen wandern. Von links nach rechts. Dann bleiben sie rechts. Als würde er aus dem rechten Augenwinkel schauen. Gleichzeitig wirken seine Augen, als würde er nach Innen schauen.
20.07.2018
Sind das Krämpfe? Die SAPV-Schwester sagt, es kann sein. Vielleicht fiebert Josef zentral. Wir sollen ihn beobachten, den Josef. Mehr Flüssigkeit geben. Weniger Nahrung. Nochmal telefonieren. Wir können immer anrufen, wenn wir uns unsicher sind.
21.07.2018
Josef liegt auf meiner Brust. Einatmen und Ausatmen. Wir entspannen uns. Mir laufen Tränen. So weit weg ist Josef. Ich habe das Gefühl, er entfernt sich, mein Josef. Wo bist du nur?
22.07.2018
Die Schwester hält Josef im Arm. Er krampft wieder. Ich gebe ihm ein Notfallmedikament. Dann hört es auf. Das Zucken. Ich nehme meinen Josef. Halte ihn. Küsse ihn. Josef, mein Josef.
23.07.2018
Halte ihn. Spreche mit ihm. Über das Leben. Unser Leben. Darüber, dass ich ihn so sehr liebe. Ihn bewundere. Mir laufen die Tränen. Ich lache auch. Genieße die Zwiesprache mit meinem Sohn. Fühle mich stark mit ihm.
24.07.2018
Wir sprechen lang. Über Josef. Über uns. Darüber, dass es nicht besser werden wird. Mit Josef. Das die Krisen zu Josef gehören. Wir es aushalten müssen. Irgendwie. Das Aushalten.
25.07.2018
Zum Abschied umarmen wir uns. Sie sagt, bis nächste Woche. Es klingt fast wie ein Versprechen. Ein Versprechen, dass Josef nächste Woche noch lebt.
26.07.2018
Vor zwei Tagen dachte ich, Josef stirbt. Jetzt ist er wieder stabil. Es kippt immer so schnell, sage ich zu Uli. Von einem Moment auf den anderen. Plötzlich geht es Josef schlecht. Dann wieder besser. So schnell. Werden wir uns daran gewöhnen?
27.07.2018
Beim Eismann treffen wir eine Bekannte von uns. Mit ihrer Mutter. Es ist schön sie zu sehen. Sie ist herzlich. Dann beugt sich ihre Mutter über den Kinderwagen. Ihr schießen Tränen in die Augen. Sie sagt: Das wünscht man noch nicht mal seinem ärgsten Feind.
28.07.2018
Sie öffnet die Fenster. Sagt, der Sommer. Anne, kannst du ihn spüren, den Sommer? Ich weiß nicht, sage ich. Ich weiß es nicht, ob ich ihn spüre. Den Sommer.
29.07.2018
Die Schwester hält Josef im Arm. Er nickt mit dem Kopf nach vorn. Auch mit dem Rumpf. Ich zeige der Schwester, was sie tun soll. Josef auf die Knie legen. Ihn einkugeln. Mit dem Daumen auf die Stirn drücken und an einer Stelle unter der Nase.