Aus der Klinik nach Hause. Josef hat einen Bauchschlauch. Hoffnung. Wird es jetzt besser? Aufatmen. Kurzes Aufatmen. Sehr kurzes Aufatmen.
30.08.2018
Uns kommt alles so bekannt vor. Die Infusionsbäume. Die Monitore. Zurückgeworfen fühle ich mich. Wir sitzen bei Josef. Berühren ihn. Die Beatmung klackt. Gegen 23.00 Uhr fahren wir los. Halten an. Schreien in die Nacht.
31.08.2018
Uli und ich entscheiden. Jetzt soll er gezogen werden. Dieser Beatmungsschlauch. Die Inhalette wird vorbereitet. Dann zieht die Ärztin den Beatmungsschlauch. Josef wird gleich inhaliert. Atmet. Atmet. Atmet rauschend.
01.09.2018
Wie ungewohnt. Josef hat kein Pflaster mehr im Gesicht. Keine Nasensonde. Ungehindert darf ich ihn küssen, meinen Josef. Wie schön. Wie schön. Wie schön.
02.09.2018
Ich erzähle. Alles. Von der Angst. Er könnte es nicht schaffen, mein Josef. Der Angst ihm zu viel zuzumuten. Zu viel von Josef zu erwarten. Nun sind wir wieder hier, sage ich. Das ist gut.
03.09.2018
Er krampft. Ich schalte den Monitor aus. Nehme ihn aus seinem Bett. Küsse ihn, meinen Josef. Küsse nicht vergessen. Ich lege Josef auf meine Knie. Kugele ihn. Drücke die Stelle zwischen seinen Augen. Der Krampf löst sich
04.09.2018
Ich frage die Schwester, ob sie etwas braucht. Sie ist verwundert. Ich erkläre. Ob sie mehr Informationen braucht. Für die Arbeit bei uns. Mehr Sicherheit. Nein, sagt sie. Schon gut. Okay, sage ich. Sie verabschiedet sich.
05.09.2018
Um 16.00 Uhr klingelt es. Der Rehatechniker. Bringt den Therapiestuhl, den Kinderaufsatz und die Badeliege. Der Therapiestuhl wirkt wie aus einer anderen Welt. Ich setze Josef vorsichtig in den Stuhl.
06.09.2018
Ich trage Josef im Tuch. Er hat keine Nasensonde mehr. Auf Anhieb sieht man nicht. Dass. Ich setze ihm einen Hut auf. Eine Brille bekommt er auch. Uli verstaut die Absauge in einen Beutel. Wir sind gut getarnt.
07.09.2018
Wie ein König. Josef thront wie ein König an unserem Küchentisch. Wie schön das ist. Sein schöner, blauer Königsstuhl. Ich gebe ihm vorsichtig seinen Abendbrei durch den Bauchschlauch.
08.09.2018
Fast fühle ich mich. Als wären wir eine gesunde Familie. Sind wir nicht. Der Therapiestuhl ist ein Therapiestuhl. Kein Hochstuhl. Kein Hochstuhl. Josef kann nicht sitzen. Wie ein gesundes Kind.
09.09.2018
Wenn er so tief schläft, mein Josef, setzt sich das Sekret fest. Dann bekommt er Probleme mit der Atmung. Hat es dann schwer. Alles hängt mit Allem zusammen. An so Vieles müssen wir denken. Immer wieder. Neu denken.
10.09.2018
Ich lege Josef auf den Untersuchungstisch. Gebe ihm das Medikament. Josef sackt zusammen. Keine Körperspannung. Keine Atmung. Stille. Stille. Stille. Stille. Stille. Stille. Stille. Stille. Stille. Stille. Stille. Stille.
11.09.2018
Das Gefühl. Er ist nicht mehr da. Nur noch mit einem kleinen Funken Rest. Lebensrest. Einatmen und Ausatmen. Vielleicht wird es besser. Wenn das Medikament eingeschlichen ist. Sich in seinen Körper eingeschlichen hat.
12.09.2018
Die Erdgeschosswohnung. Wir bekommen sie nicht. Die Eigentümerin hat sich für eine andere Familie entschieden. Sie wünscht uns alles Gute. Einatmen und Ausatmen. Weitersuchen, sage ich. Weitersuchen.
13.09.2018
Arbeit. Pflegedienst. Es geht nicht gut zusammen, sagt die Mutter. Manchmal nimmt sie ihren Sohn mit zur Arbeit, wenn der Pflegedienst nicht kommt. Inhaliert ihn dort. Saugt ihn ab. Lagert ihn.
14.09.2018
Uli inhaliert Josef. Saugt ihn ab. Unsere Wohnung ist ganz vernebelt. Meeresnebel. Ich habe das Gefühl, die Inhalette rauscht immerzu. Immerzu. Das Rauschen. Der Inhalette und der Absauge.
15.09.2018
Dann sprechen wir. Über Josef. Seinen Zustand. Dass es sein kann. Dass er sich verabschiedet. Von uns. Mein Herz wird schwer. Ganz schwer. Einatmen und Ausatmen.
16.09.2018
Deshalb nicht nach Plan. Wegen der Angst. Angst vor dem Tod. Angst vor der Schuld. Angst. Angst. Angst. Ich fühle mich ganz beklommen. Einatmen und Ausatmen. Josef schläft. Ganz friedlich. Mein Bär. Ganz friedlich.
17.09.2018
Ein bisschen was muss er tun, der Josef. Atmen muss er der Josef. Atmen um zu leben. Atmen. Leben. Atmen. Leben. Dröhnt es in mir. Atmen, mein Josef. Atmen.
18.09.2018
Eine Weile liege ich bei Klara. Es war schön heute, sagt sie. Ein schöner Tag. Ein schöner Tag, denke ich. Für Klara war es ein schöner Tag. Das ist gut. Auch gut. Schön. Und schmerzhaft. Traurig.
19.09.2018
Gelten unsere Worte nicht? Die Worte der Palliativärztin? Ist ihr Josef egal? Geht es nur darum, den Dienst irgendwie zu schaffen? Über die Runden zu kommen? Ich habe das Gefühl, mein Kopf platzt.
20.09.2018
Nehme Josef aus dem Bett. Sehe auf seinem Kinn rote Streifen. Abdrücke von Fingernägeln. Mir stockt der Atem. Bekomme keine Luft mehr. Frage, was ist das? Sie sagt nichts. Sage, mach bitte Feierabend. Sie geht
21.09.2018
Inhalieren. Absaugen. Lagern. Medikamente geben. Brei. Tee. Inhalieren. Absaugen. Lagern. Küssen. Lagern. Küssen. Inhalieren. Absaugen. Lagern. Küssen.
22.09.2018
Die Pflegedienstleitung. Sie versteht uns. Sagt, so etwas darf nicht passieren. Die Schwester wird sie zum Gespräch bitten. Natürlich wird sie sofort aus dem Team genommen. Es tut ihr leid, sagt sie. Unfassbar, sagt sie.
23.09.2018
Klara kommt in die Küche. Ich umarme sie. Möchte am liebsten sagen, alles wird gut. Küsse stattdessen ihren Kopf. Es wird ja nicht gut, denke ich.
24.09.2018
Im Hort spricht mich die Erzieherin an. Sagt, sie dürfen Klara nicht alles sagen. Ich bin verwirrt. Frage, was sie meint. Sie sagt, Klara hat geweint. Auf der Toilette, weil ihr Bruder nicht hören kann.
25.09.2018
Wir sagen der Schwester Bescheid. Gehen dann noch spazieren. Eine kleine Runde. Um das Kinderhospiz. Laub liegt auf der Straße. Es wird dunkel. Herbst. Wer hätte gedacht, dass wir den Herbst. Einatmen und Ausatmen.
26.09.2018
Ich erzähle. Von dem Gespräch. Davon, dass es nicht gehen wird. Wahrscheinlich wird es nicht gehen. Mit dieser Arbeit. Dort. Unsere Lebenswelt passt nicht in die Arbeitswelt. Dort. Es passt nicht zusammen.
27.09.2018
Die Gäste kommen. Nach und nach. Die Schwestern und Pfleger. Die Eltern. Es ist schön. Wir sitzen lange. Erzählen ein wenig. Hören zu. Sind einfach nur da.
28.09.2018
Wir gehen zu Josef. Am Gemeinschaftsraum vorbei. Uli nimmt zwei Tassen mit. Morgenkaffee. Wir gehen den Gang runter. Dann links. Josef schläft. Herzfrequenz 100. Sauerstoffsättigung 96.
29.09.2018
Ich sage, ich möchte laufen. Mach das, sagt sie. Ich passe auf. Auf Josef. Danke, sage ich. Ich muss doch so viel laufen. Im Laufen begreifen. Ich ziehe mich an. Laufe los. Aus dem Kinderhospiz.