14.01.2018
Josef ist wach. Ich küsse ihn und flüstere in sein Ohr: Heute, lieber Josef, heute ist es soweit. Wir nehmen dich mit. Einfach so nehmen wir dich mit.
15.01.2018
Kann mich die Pflegekraft hören? Hört sie, wie ich mich wasche? Mir ist das sehr unangenehm. Ich gehe mit meiner Milch ins Wohnzimmer. Josef liegt bei der Schwester auf dem Sofa.
16.01.2018
Die Krankenkasse hat mir eine Haushaltshilfe bewilligt. Guten Morgen, Haushaltshilfe. Wir setzen uns in die Küche. Erzählen leise von uns und Josef. Dass wir nicht wissen, wohin es geht. Dass wir alle hier sind.
17.01.2018
Josef wird gewogen. Dabei wird die Nasensonde aus Versehen gezogen. Wir fragen den Pfleger: Können Sie bitte eine neue legen? Er kann das nicht. Aber die Pflegedienstleitung sagt doch, Sie können das. Nein, sagt er. Nein, das kann er nicht.
18.01.2018
Zusammen bringen wir Klara ins Bett. Heute möchte sie bei uns schlafen. Gut. Zusammen lesen wir ihr mit Josef vor. So ein Glück! Wir machen ihr ein Hörspiel an und warten auf die Nachtschwester.
19.01.2018
Uli und Klara sind drei Stunden weg. Eindeutig zu lange. Ich komme kaum hinterher. Milch abpumpen. Josef absaugen. Josef die Milch geben. Ich bin erschöpft, als Klara und Uli nach Hause kommen.
20.01.2018
Uli und ich flüstern auf dem Weg zum Hort. Wie soll es weitergehen? Werden immer so viele Menschen bei uns sein? Wie werden wir das aushalten? Das Gefühl von Öffentlichkeit. Lass uns weitermachen, sage ich.
21.01.2018
Ich rufe beim Pflegedienst an und frage nach, warum eine andere Schwester kam. Warum wurden wir nicht informiert? Die Antwort ist sehr klar: Seien Sie froh, dass überhaupt jemand kommt. Einatmen und Ausatmen.
22.01.2018
Uli und ich reden währenddessen. Wir sind allein. Noch kann uns niemand hören. Mit dem Pfleger kommen wir nicht zurecht. Fühlen uns unwohl mit ihm. Darüber müssen wir mit der Pflegedienstleitung sprechen.
23.01.2018
Wir reden. Reden offen über Josef und uns und wie es ist. Wir fühlen uns so fremd hier. In unserer eigenen Wohnung. Werden wir uns daran gewöhnen? Wird sich Josef stabilisieren? Wird es besser? Schaffen wir es vielleicht allein?
24.01.2018
Sie ist mir sympathisch. Das erste Mal habe ich das Gefühl, es könnte mit den Pflegekräften gehen. Vielleicht. Schlafen Sie gut, sage ich. Haben Sie einen schönen Tag, sagt sie. Danke.
25.01.2018
Nach einer Stunde sind wir zurück. Es tat uns gut. Wir waren alle zusammen draußen. Das erste Mal waren wir allein als Familie bei uns zu Hause auf dem Feldweg spazieren. Ohne Pfleger. Nur wir vier. So schön ist das.
26.01.2018
Der Nachmittag ist schön. Wir weinen und lachen zusammen. Sie sagen, wir sind da, wenn ihr uns braucht. Wir wissen, dass das stimmt. Es fühlt sich gut an.
27.01.2018
Um 17.00 Uhr klingelt es. Zwei Frauen. Ganz unterschiedlich beide. Stehen vor der Tür. Es ist die Koordinatorin vom ambulanten Kinderhospizdienst und die Familienbegleitung für Klara. Wir bitten sie in unsere Wohnung.
28.01.2018
Wir wollen offen mit Josef umgehen. Uns zusammen zeigen. Wir möchten nicht, dass Klara ausgegrenzt wird, weil sie einen schwer kranken Bruder hat. Wir sind auch etwas aufgeregt und gespannt, wie die Kinder reagieren werden.
29.01.2018
Mir laufen die Tränen. Hätten wir das gedacht? Mit unserem Josef? So krank. Dass er so schwer krank ist? Vielleicht wird er etwas stabiler. Wenn er älter ist. Wir halten durch, Uli. Ja, wir halten das durch.
30.01.2018
Bei Gelegenheit werde ich nachfragen. Nicht sofort. Ich habe das Gefühl, es wird von der Pflegedienstleitung nicht gewünscht. Dieses Nachfragen und der Wunsch nach Klarheit.
31.01.2018
Uli steht auch auf. Heute muss er früh los. Er arbeitet. Das erste Mal seit der Geburt von Josef. Heute werde ich früh mit Josef allein sein. Bis die Physiotherapeutin und meine Hebamme kommen. Es wird schon gehen.
01.02.2018
Wir fahren in ein nah gelegenes Einkaufscenter. Ich hoffe inständig, dass wir niemanden treffen, den wir kennen. Ich habe keine Kraft für Gespräche außerhalb unserer Familienwelt.
02.02.2018
Heute, lieber Josef, heute bleiben wir lange im Schlafanzug. Heute kommt keiner zu Besuch! Wir gehen zu Klara ins Schlafzimmer. Josef ist aber mit seiner Atmung eindeutig zu laut, so dass wir Klara lieber allein lassen.
03.02.2018
Ich sehe die Schwester am Wickeltisch stehen. Josef liegt auf dem Wickeltisch. Sie hat den Ambubeutel in der Hand und stößt Luft in Josefs Lunge. Als sie mich sieht, sagt sie, ich habe alles im Griff. Es ist alles gut. Ich gehe zu Josef und nehme ihn in den Arm.
04.02.2018
Die Physiotherapeutin schlägt vor, morgen wieder zu kommen. Extra Atemtherapie mit Josef zu machen. Sie hänge uns einfach hinten an ihre Terminplanung. Um das Rezept kümmert sie sich. Josef braucht die Atemtherapie, sagt sie.
05.02.2018
Die Physiotherapeutin berührt ihn vorsichtig, streicht an den Rippenbögen entlang, schüttelt an den Armen. Sie erklärt alles. Spricht mit Josef. So liebevoll. Es ist gut, das sie da ist.
06.02.2018
Als ich mit dem Abpumpen fertig bin, setze ich mich mit Josef wieder ins Wohnzimmer. Ich halte ihn und flüstere ihm Geschichten ins Ohr. Streichele seinen wunderschön geformten Kopf. Ich inhaliere ihn.
07.02.2018
Was wissen sie denn über Josef, frage ich. Naja, sagt sie. Sie wurde gefragt, ob sie für eine kurze Zeit zu uns kommt. Es sich zutraut, mit einem sterbenden Kind. Sie hat gesagt, sie macht es.
08.02.2018
Wir berichten vom Tag. Von der Müdigkeit. Vermessen von uns? Von der Müdigkeit zu sprechen? Nein, sagt sie. Nein. Müde wird man. Das glaubt sie uns.
09.02.2018
Wir haben einen Plan. Vielleicht können wir etwas an der Unerträglichkeit der Pflegesituation ändern? Vielleicht? An dem Gefühl, ausgeliefert zu sein? Der Nichplanbarkeit? Etwas tun. Das fühlt sich gut an.
10.02.2018
Sie hört zu. Das Zuhören tut gut. Sie meint, entscheiden sie nach ihrem Gefühl. Hören sie sich den anderen Pflegedienst an. Dann entscheiden sie. Gut. Danke für das Zuhören.
11.02.2018
Wir lachen, als ich Josef nachahme. Ganz ohne Nachdenken mache ich das. So wie jede Mutter ihr Baby nachahmt. Meine Freundin lacht und sagt: die Spiegelneuronen funktionieren gut. Wir lachen laut und mir laufen die Tränen dabei.
12.02.2018
Als wir draußen sind, ruft Uli bei der Pflegdienstleitung an. Fragt, warum wird dieser Pfleger so oft eingesetzt? Warum? Wir halten den Pfleger nicht aus. Die Antwort: Seien sie froh, dass überhaupt jemand zu ihnen kommt.
13.02.2018
Dann erzählen wir. Sie fragt uns detailliert nach dem Tagesablauf. Wir erzählen. Alles ist anders. So anders. Als mit einem gesunden Kind. Wir geben Minuten und Stunden an, die wir mehr brauchen, als für ein gesunden Josef.
14.02.2018
Josef in meinem Arm bei Klara im Zimmer. Das fühlt sich gut an. Klara stellt allerdings eine Bedingung. Josef darf keinen Schnodder (Sekret) in ihr Bett machen. Ich passe auf, liebe Klara.
15.02.2018
Es macht keinen Sinn. Diese Gedankenkreise. Wir überlegen, dass wir die Bestellung von den Medikamenten und Heilmitteln übernehmen werden. Uli verschafft sich einen Überblick, schreibt Listen.
16.02.2018
Die Nachbarin im Haus an der Ecke arbeitet im Garten. Wir grüßen. Sie grüßt zurück. Ihr laufen Tränen über die Wangen. Sie zeigt, sie kann nicht reden. Gut. Wir gehen weiter.
17.02.2018
Wir möchten ein gutes Leben mit Josef haben. Solange wie er bei uns ist, soll es gut sein. Für uns alle. Verstehen Sie das? Es ist unser Zuhause. Es ist uns wichtig, dass sie das mittragen. Ja, das verstehen wir. Sagen Beide.