30.11.2017
Nach zwanzig Minuten kam die Hebamme und berichtete: Er habe nicht geatmet. Er wurde reanimiert. Nun werde er beatmet. Soll gekühlt werden. Ein Neugeborenarzt werde kommen. Er soll in eine andere Klinik verlegt werden.
01.12.2017
Sie erklärt. Ich verstehe nichts. Nur, es geht um Leben und Tod. Momentan ist er fast tot. Möchte doch nur, dass er lebt. Egal. Auch wenn er schwer behindert ist. Ich möchte, dass er lebt. Josef lebe. Bitte.
02.12.2017
Gespräch mit der Oberärztin. Josefs Zustand sei schlecht. Er sei aber jetzt außer akuter Lebensgefahr. Wir müssen alle abwarten, was er macht. Was passieren wird, wenn er nicht mehr gekühlt wird. Wir bleiben lange bei Josef.
03.12.2017
Chefvisite. Schlecht sieht es aus. Um Josef. Abwarten. Dann MRT. Schauen, was mit seinem Gehirn ist. Abwarten. Warten darauf, was Josef zeigt. Geduld haben. Josef, die haben wir. Haben wir, Josef.
04.12.2017
Gespräch mit der Elternberatung. Bitte beraten sie uns! Wie kann es mit Klara gehen? Sie möchte ihren Bruder sehen. Wir möchten Klara bei uns haben. Die Welten zusammenbringen. Und wissen nicht. Wie kann das gehen?
05.12.2017
Klara wird kurz von der Ärztin untersucht. Alles gesund. Sie darf zu ihrem Bruder. Klara scheint so unbeeindruckt von den Kabeln, Schläuchen, Monitoren, Geräuschen. Sie berührt Josef auf eine so innige Art und Weise.
06.12.2017
Ich sehe ihnen zu. Sie erreichen mich nicht. Josef bewegt sich nicht, zeigt keine Regungen im Gesicht. Er ist einfach da und schläft. Sein Brustkorb hebt und senkt sich von der Beatmung. Manchmal piept auch bei Josef der Alarm.
07.12.2017
Vor einer Woche wurdest du geboren, Josef. Vor einer Woche waren wir guter Dinge. Nun sitze ich bei dir. Du auf der Intensivstation mit Schläuchen überall. Niemand ist mehr guter Dinge.
08.12.2017
Ich darf dich berühren, Josef. Auch küssen. Ich habe extra die Schwester gefragt: Darf ich Josef küssen? Natürlich dürfen sie. Er ist doch ihr Sohn. Josef, du wirst dich nicht mehr halten können vor Küssen!
09.12.2017
Er schläft. Immer noch. Immer noch. Der Oberarzt möchte mit uns sprechen. Über Josef. Josef zeige keine Reflexe. Leider. Nichts auszulösen. Kein Würgereflex. Kein Hand- und Fußgreifreflex. Keine Spontanbewegung. Leider.
10.12.2017
Gespräch mit Herrn Prof. bei der Chefvisite. Menschen. So viele. Um Josef. Schauen betroffen. Oder irre ich mich? Ja, wir wissen, unser Sohn wird nicht gesund. Das wissen wir. Josef ist schwer geschädigt. Er atmet nicht allein.
11.12.2017
Josef stabil. Im schlechten Allgemeinzustand. Viel Sekret im Tubus. Heute MRT. Heute MRT Josef, hörst du? Josef zittert ein wenig mit den Händen und Füßen. Lege meine Hände drauf. Es ist gut, Josef, es ist gut. Wir sind da.
12.12.2017
Ja, was zeigt er denn? Nichts. Leider. Josef hat eine HIE (hypoxisch-ischämische Enzephalopathie). Eine sehr schwere. Er zeigt keine Reflexe. Unvereinbar mit dem Leben. Nur noch am Leben, weil er intensiv versorgt wird.
13.12.2017
Die Seelsorgerin. Ist da. Sprechen über die Taufe. Und darüber, dass wir spüren werden, wann wir Josef gehen lassen können. Es wird sich in uns etwas verändern. Vertrauen sollen wir auf uns. Danke.
14.12.2017
Die Dinge für Josef dabei. Sachen zum Anziehen. Kuscheldinge. Ein Unterhemd von mir. Das bekommst du Josef zum Kuscheln. Dann bin ich da, auch wenn ich nicht da bin.
15.12.2017
Die Schwester bereitet alles vor. Sie deckt den Tisch in Josefs Zimmer. Kocht Kaffee. Tee. Die Taufschale wird neben Josefs Bett aufgestellt. Lichterketten angemacht. Gemütlich und weich soll es sein. In dem Zimmer auf der Intensivstation.
16.12.2017
Herr Oberarzt. Josef soll nicht am Leben gehalten werden, nur damit wir den Schmerz nicht spüren. Den Schmerz. Josef soll nicht leben, nur um uns zu trösten. Wir legen es in Josefs Hände.
17.12.2017
Lieber Josef, ich ziehe dich um. Mache dir die Windeln. Die Schwester dabei. Ihre Routine mit Josef tut mir gut. Sie hilft mir mit der Beatmung und den Überwachungskabeln.
18.12.2017
Wir sprechen mit der Ärztin. Sind sie am Freitag da? Haben sie Dienst? Frühdienst, sagt sie. Wir überlegen, ob wir Josef am Freitag von der Beatmung nehmen. Können sie dabei sein? Bitte? Ja, das gehe. Natürlich.
19.12.2017
Die Ärzte gehen davon aus, dass der Atemantrieb von Josef nicht lange reichen wird. Wahrscheinlich wird Josef ins Koma fallen, weil er sich nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgen kann.
20.12.2017
Uli und ich sitzen neben Josef. Uli hält Josefs rechte Hand, ich seine linke. Wir sitzen und warten und warten und warten. Josef atmet. Einatmen und Ausatmen. Einatmen und Ausatmen. Einatmen und Ausatmen.
21.12.2017
Klara und Uli kommen durch den Wintertag. Welch eine Freude! Klara spricht ganz verschwörerisch mit ihrem Bruder. Siehst du, Josef, ich hab doch gewußt. Du kannst atmen! Kann doch jeder!
22.12.2017
Am Nachmittag kommt der Chefarzt. Wir sitzen beieinander. Essen die köstlichen Plätzchen. Er meint, wahrscheinlich wird uns Josef Weihnachten schenken. Welch ein schönes Geschenk.
23.12.2017
Ganz langsam Schluck für Schluck drücke ich auf die Nahrungsspritze. Nicht zu viel. Der kleine Magen nimmt die Milch nur langsam auf. Heute wurde Josef gewogen. Er hat 300 Gramm zugenommen. Oh, gut.
24.12.2017
So gern möchten wir mit Josef einmal rausgehen. Ob das möglich ist. Ich wünsche mir, dass er einmal richtige Luft auf seiner Haut spürt und in seine Lungen fließen lassen kann. Ein Mal. Bevor er dann stirbt.
25.12.2017
Mich schmerzt es so sehr. Dass Josef bald nicht mehr sein wird. Im Hier und Jetzt. Die Seelsorgerin kommt. So schön, dass sie da ist. Sie setzt sich zu uns. Auf Schmerzenshöhe. Wir weinen. Mehr gibt es nicht zu tun.
26.12.2017
Am späten Nachmittag gehen wir mit dem Oberarzt zur Besprechung in den Besprechungsraum. Josef ist stabil. Was machen wir jetzt? Wenn wir wollen, können wir ihn mit nach Hause nehmen.
27.12.2017
Wir sind mit Josef draußen! Josef spürt die Luft! Winterluft, mein lieber Josef. Winterluft! Wir fühlen uns ganz berauscht von diesem Erlebnis. Josef ist ganz ruhig. Schaut. So schön.
28.12.2017
Josef hat heute Nacht seinen Kopf gedreht und lag auf seiner Nase. Der Alarm ging an. Also kein Problem. Josef hat seinen Kopf gedreht! Er kann seinen Kopf drehen. Unglaublich! Was Josef zeigt.
29.12.2017
Guten Morgen, mein lieber Josef! Heute dürfen wir dich baden. Wer hätte das gedacht? Die Schwester kommt zu uns. Ich darf Josef ausziehen. Ganz vorsichtig. Seine Nasensonde darf nicht verrutschen. Ich fühle mich etwas unbeholfen.
30.12.2017
Ich habe das Gefühl, Josef aufzugeben, wenn ich von palliativ spreche. Ihn zu verraten. Er zeigt doch gerade, dass er lebt. Dass er bei uns sein möchte.
31.12.2017
Mir schwirren so viele Gedanken im Kopf. Wie soll es gehen, zu Hause mit Josef? So wie jetzt geht es aber auch nicht. Josef hier in der Klinik und wir zu Hause. Ich habe Angst, es nicht zu schaffen.
01.01.2018
Guten Morgen, lieber Josef. Willkommen im neuen Jahr! Was das wohl bringen wird? Das neue Jahr? Uli nimmt Josef aus seinem Bett und legt ihn mir auf den Schoß.
02.01.2018
Die Schwester kommt zu uns. Heute möchte sie uns zeigen, wie das mit dem Absaugen funktioniert. Schließlich müssen wir es lernen. Gegen Mittag wird die Physiotherapeutin kommen. Josef soll Atemtherapie bekommen. Gut.
03.01.2018
Josef sollte in unserem Schlafzimmer schlafen. Die ersten Jahre. Es war ja alles gut bis zur Geburt. Nun geht es nicht. Wir haben nur eine Dreizimmerwohnung. Eine sehr große. Aber nur drei Zimmer. Wir müssen überlegen, wie wir es machen.